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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Gresham Suchflugzeuge zu sehen glaubte - es waren zwei Geier.
    Als es Abend wurde, begann Katje zu phantasieren.
    Bruchstücke eines Lebens. Ihr Bruder, der Anwalt. Mutters Briefe auf geblümtem Briefpapier. Teegesellschaften. Die Schule. Ihr Bewußtsein tastete im Delirium nach einer rettenden Zuflucht, Tausende von Kilometern und Jahre entfernt. Nach einem winzigen Anhaltspunkt menschlicher Ordnung in grenzenloser Einöde.
    Gresham fuhr, bis es dunkel wurde. Er schien das Land zu kennen. Sie sah ihn nie über eine Landkarte gebeugt.
    Schließlich hielt er im eingeschnittenen Bett eines ausgetrockneten Wasserlaufes - einem ›Wadi‹, wie er es nannte. Auf dem sandigen Boden des Trockenbetts bildeten hüfthohe, stinkende und mit winzigen Kletten besetzte Kreosotbüsche ausgedehnte Dickichte.
    Gresham stieg ab und schulterte einen Sack. Er zog seinen langen Krummdolch aus dem Gürtel und begann Büsche abzuhacken. »Am gefährlichsten sind die Maschinen bei Nacht«, sagte er. »Sie arbeiten mit Infrarotgeräten, die jeden warmen Körper anzeigen.« Er tarnte das Fahrzeug mit den abgehackten Büschen. »Deshalb müssen wir alles verteilen und die Plane über uns spannen.«
    Laura kroch vom Wagen, durchgeschüttelt, staubig und zum Umfallen müde. »Was soll ich tun?«
    »Sie können sich für die Wüste anziehen. Sehen Sie im Rucksack nach.«
    Sie trug den Rucksack auf die andere Seite des Geländewagens und zog die Verschlußschleife auf. Drinnen waren Hemden, Ersatzsandalen und ein langes, derbes Gewand aus blauem, verwaschenem Stoff, zerknittert und fleckig. Sie entledigte sich ihrer Gefängnisjacke.
    Gott, war sie dünn. Sie konnte jede Rippe sehen. Dünn und alt und erschöpft, wie etwas, das getötet werden sollte. Sie fuhr in das Gewand - die Schulternähte reichten ihr bis zur Mitte der Oberarme, und die Ärmel reichten bis an die Fingerspitzen. Der Stoff war jedoch dick und durch langes Tragen weich geworden. Er stank nach Gresham. Ihr war, als ob er sie in den Armen hielte.
    Ein seltsamer Gedanke, schwindelerregend. Sie empfand Verlegenheit. Sie mußte einen jämmerlichen Anblick bieten. Gresham konnte nicht eine Elendsgestalt wie sie wollen…
    Der Boden kam hoch und schlug sie ins Gesicht. Sie lag in einem Wirrwarr ihrer eigenen Arme und Beine und wußte nicht, was sie dabei denken sollte. Eine unklare Zeitspanne verging, vage Schmerzen und Wellen von Schwindelgefühl.
    Gresham hielt ihren Kopf und versuchte ihr Wasser einzuflößen. Es ermunterte und belebte sie so weit, daß sie sich ihrer Lage bewußt wurde. »Sie waren ohnmächtig«, sagte er, und sie nickte schwächlich. Gresham hob sie auf und trug sie wie ein Bündel; sie fühlte sich leicht, hohl, vogelknochig.
    An der steilen Böschung des Trockenbetts war eine Zeltbahn in Tarnfarben aufgespannt. Unter ihr kauerte eine dunkle Gestalt über Katje, deren weiß gestreifte Häftlingskleidung aus dem Dunkel leuchtete - einer der Tuareg-Angreifer, der ein langes Gewehr umgehängt hatte. Gresham setzte Laura ab, tauschte ein paar Worte mit dem Tuareg, der düster nickte. Laura kroch unter das Zeltdach, fühlte grobe Wolle unter den Fingern: einen Teppich.
    Sie legte sich darauf zur Ruhe. Der Tuareg summte kaum hörbar vor sich hin. Ein Sternhimmel von unglaublichem funkelndem Reichtum wölbte sich über dem primitiven Schutzdach.
     
    Der Duft von frisch aufgegossenem Tee weckte sie. Der Morgen dämmerte, roter Widerschein erhellte den Osten. Jemand hatte ihr während der Nacht eine Decke übergeworfen. Sie hatte auch ein Kissen, einen zusammengelegten Jutesack, der mit einer unbekannten eckigen Schrift bedruckt war. Sie setzte sich aufrecht.
    Der Tuareg reichte ihr eine Tasse, behutsam und höflich, als sei der Tee eine Kostbarkeit. Er war heiß, dunkelbraun, schaumig und süß, und roch scharf nach Pfefferminz. Laura nippte davon. Anscheinend waren die Pfefferminzblätter mitgekocht und nicht aufgegossen worden, und die Wirkung war wie die eines Narkotikums, zusammenziehend und stark. Sie empfand den Geschmack als widerwärtig, doch beizte der Tee ihre Kehle und festigte sie gegen die Anstrengungen eines weiteren Tages.
    Der Tuareg saß halb abgewandt und schlürfte laut und genießerisch. Schließlich öffnete er einen Beutel, der mit einer Zugschnur versehen war, und bot ihr vom Inhalt an. Kleine braune Kügelchen von etwas wie - Erdnüsse? Vielleicht Scop in einer getrockneten Form. Es schmeckte wie gezuckertes Sägemehl. Frühstück. Sie aß zwei

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