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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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ausgegraben. »Sie wissen jetzt, wohin wir wollen, wenn sie es vorher noch nicht wußten. Hätten wir einen Funken Verstand, würden wir jetzt die Köpfe einziehen, ausruhen und an den Fahrzeugen arbeiten.«
    »Aber sie würde sterben.«
    »Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß sie die kommende Nacht nicht überleben wird.«
    »Wenn sie es schaffen kann, dann können wir es auch.«
    »Keine schlechte Wette«, sagte er.
    Nach Sonnenuntergang hielten sie in einem verlassenen Dorf aus dachlosen, vom Wind gerundeten Lehmziegelmauern. In den Ruinen waren vereinzelt Dornsträucher, und eine lange Erosionsrinne durchzog den einstigen Dreschplatz des Dorfes. Das Erdreich im Umkreis der noch in Spuren erkennbaren Bewässerungsgräben war so stark versalzen, daß sich weißlich schimmernde Krusten gebildet hatten. Der tiefe, ausgemauerte Brunnen war trocken. Hier hatten einmal Menschen gelebt, Generationen, vielleicht tausend Stammesjahre lang.
    Sie versteckten das Fahrzeug in den Ruinen und spannten ihre Zeltplane in der Tiefe eines Grabens auf, unter den Sternen. Laura hatte diesmal mehr Kraft - sie fühlte sich weniger zerschlagen und verwirrt. Die Wüste hatte sie bis auf eine reflektierende Schicht von Vitalität abgetragen. Sie hatte es aufgegeben, sich zu sorgen. Hatte in den asketischen Gleichmut eines Tieres zurückgefunden.
    Gresham spannte die Zeltbahn auf und erhitzte einen Topf Suppe auf einer batteriegespeisten elektrischen Kochplatte. Dann verschwand er, machte sich zu Fuß auf, um die verstreuten Mitglieder seines Trupps aufzusuchen. Laura schlürfte dankbar die ölige Proteinbrühe. Der Geruch weckte Katje aus ihrem Dämmerzustand.
    »Hunger«, flüsterte sie. »Durst.«
    »Nein, Sie dürfen nicht essen.«
    »Bitte, ich muß. Ich muß, nur ein wenig. Ich will nicht hungrig sterben.«
    Laura überlegte. Suppe war nicht viel schlimmer als Wasser, dachte sie. »Sie haben gegessen«, murmelte Katje. »Sie hatten so viel. Und ich hatte nichts.«
    »Na schön, aber nicht zu viel.«
    »Sie können es erübrigen.«
    »Ich versuche daran zu denken, was für Sie am besten ist…« Keine Antwort, nur Augen voller Argwohn und fiebernder Hoffnung, gezeichnet vom Schmerz. Laura hielt ihr die Schale an den Mund, und Katje schluckte verzweifelt.
    »Das ist viel besser.« Sie versuchte zu lächeln, ein Akt herzzerreißenden Mutes. »Ich fühle mich besser… Danke…« Sie schloß die Augen.
    Laura streckte sich in ihrer verschwitzten Djellabah aus, lauschte dem röchelnden Atmen Katjes und schlief schließlich ein. Sie erwachte, als Gresham in den Graben und unter die Zeltplane kletterte. Es war wieder bitterkalt, die lunare Kälte der Wüste, und sie fühlte die Wärme, die von seiner Masse ausging, die groß und männlich war, und fleischfressend. Sie setzte sich auf und spähte durch die Dunkelheit zu ihm hin.
    »Wir sind heute gut vorangekommen«, murmelte er mit der leisen Stimme der Wüste, die kaum eine Störung der allgegenwärtigen Stille war. »Wenn sie die Nacht übersteht, können wir am Vormittag das Lager erreichen. Ich hoffe nur, daß es nicht voll von südafrikanischen Kommandoeinheiten ist. Dem langen Arm imperialistischer Ordnung und Gesetzlichkeit.«
    »›Imperialistisch‹. Das Wort sagt mir nichts.«
    »Man muß es ihnen lassen«, sagte Gresham. Er beugte sich über Katje, die bewußtlos lag. »Es sah einmal aus, als würde ihr kleiner Ameisenhaufen mit Sicherheit von der schwarzen Flut hinweggespült werden, aber sie haben sich gehalten… Der Rest Afrikas ist auseinandergefallen, aber diese zähen Burschen haben sich behauptet, und jedes Jahr kommen sie ein bißchen weiter nach Norden voran, sie und ihre verdammten Polizisten und burischen Gesetze.«
    »Sie sind besser als die FAKT! Wenigstens helfen sie.«
    »Die Hälfte der FAKT besteht aus weißen, südafrikanischen Ultras, die sich von der Nationalpartei abspalteten, als die südafrikanische Regierung den Schwarzen eigene Wahlen und ein paar Ministerposten einräumte. Da gibt es keinen nennenswerten Unterschied… Ihre Freundin hier, die Ärztin, hat vielleicht eine Karotte in der Hand, statt eines Stockes, aber die Karotte ist bloß der Stock in anderer Gestalt.«
    »Ich verstehe nicht.« Es schien ihr unfair. »Was wollen Sie?«
    »Ich will Freiheit.« Er fummelte in seinem Tragesack. »Mit uns hat es mehr auf sich, als Sie denken, Laura, wenn Sie uns so auf der Flucht sehen. Die Inadin-Kulturrevolution ist nicht bloß irgendein unsinniger

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