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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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der dies alles sah und geschehen ließ.
    Das Lager war ein weitläufiges Rechteck von weißen Baracken aus Betonfertigteilen, umgeben von einem hohen Maschendrahtzaun. Sie fuhren eine staubige Piste entlang, die zu beiden Seiten eingezäunt war und zur Mitte des Komplexes führte.
    Kinder waren zum Zaun gerannt. Hunderte, die durch den Maschendraht starrten, vorbeigleitende Gesichter. Laura konnte sie nicht ansehen. Sie fixierte ihren Blick auf ein einziges Gesicht in der Menge. Ein schwarzes junges Mädchen in einem hellroten Schürzenkleid aus irgendeiner Wohltätigkeitsspende. Ein Dutzend billige Plastik-Digitaluhren hingen an ihren dünnen Unterarmen.
    Sie hatte Lauras Blick aufgefangen, und er elektrisierte sie. Sie steckte die Arme durch die Maschen und bettelte mit schrill erhobener Stimme. »Mam'selle, mam'selle! Le the de Chine, mam'selle! La canne a Sucre!« Gresham fuhr grimmig weiter. Das Mädchen schrie lauter, schüttelte den Zaun mit ihren dünnen Armen, aber ihre Stimme ging im Geschrei der anderen unter. Laura war nahe daran, sich nach ihr umzusehen, ließ es aber im letzten Augenblick sein. Sie fühlte sich gedemütigt.
    Voraus war ein Tor. Ein gestreifter Militärfallschirm war als Schattenspender aufgespannt. Schwarze Soldaten in geflecktem Tarndrillich, auf den Köpfen breitkrempige Hüte, die auf einer Seite hochgeschlagen und mit einem Regimentsabzeichen am Hut festgesteckt waren. Kommandotruppen, dachte Laura. Südafrikanische Truppen. Jenseits des geschlossenen Tores war ein kleineres Lager im größeren Bereich, mit größeren Gebäuden, einigen Baracken, einem Hubschrauberlandeplatz. Ein Verwaltungszentrum.
    Gresham verlangsamte. »Da fahre ich nicht hinein.«
    »Das ist schon gut, ich werde es regeln.«
    Einer der Wächter blies in eine Trillerpfeife und hob die Hand hoch. Neugierig betrachteten die Soldaten das einsame Fahrzeug, nicht sonderlich besorgt. Sie sahen gut genährt aus. Stadtsoldaten. Amateure.
    Laura stieg aus, schlappte in Greshams Ersatzsandalen zum Tor. »Ein Arzt!« schrie sie. »Ich habe hier eine verwundete Südafrikanerin, sie ist Lagerpersonal! Bringen Sie eine Trage!«
    Die Soldaten eilten näher, um zu sehen. Gresham saß in seinen fließenden Gewändern auf dem Fahrersitz, den Kopf in Schleier und Turban. Ein Uniformierter mit Streifen kam auf Laura zu.
    »Wer, zum Teufel, sind Sie?« sagte er.
    »Ich bin diejenige, die sie gebracht hat. Beeilen Sie sich, sie liegt im Sterben! Er ist ein amerikanischer Journalist, und er hat ein Mikrofon, also achten Sie auf Ihre Redeweise, Unteroffizier.«
    Der Mann starrte auf sie herab. Ihr fleckiges Gewand, ein schmutziges Hemd um den Kopf gewickelt, das Gesicht mit Staub und Fett beschmiert.
    »Lieutenant«, sagte er, verletzt. »Mein Rang ist Lieutenant, Miss.«
     
    Sie sprach mit dem südafrikanischen Verwalter in einer der langen Baracken. Wandregale bogen sich unter Konserven, medizinischen Ausrüstungen, eingefetteten Ersatzteilen. Die gut isolierten Wände und Decken dämpften den Lärm der Klimaanlage.
    Ein Kantinenbediensteter in weißer Jacke, Stammesnarben auf den Wangen, machte die Runde mit einem Tablett voll von Gläsern und gekühlten Flaschen Fanta.
    Laura hatte den Leuten der Lagerverwaltung nur einen skizzenhaften Abriß der Ereignisse gegeben, aber die Südafrikaner waren nervös und mißtrauisch und schienen von einem abgerissenen Wüstengespenst wie ihr nicht viel zu erwarten. Der militärische Befehlshaber des Lagers, ein weißer Oberst, befand sich mit seinem Stab auf einer Inspektionsfahrt. Der zivile Verwalter des Lagers war ein dicklicher, pfeiferauchender Schwarzer namens Edmund Mbaqane. Er bemühte sich sehr, bürokratisch untadelig und auf der Höhe der Situation zu erscheinen. »Wir sind wirklich sehr dankbar, Mrs. Webster… vergeben Sie mir, wenn ich anfangs etwas kurz angebunden schien. Je mehr man über dieses Regime in Bamako hört, desto stärker gerät einem das Blut in Wallung.«
    Mbaqanes Blut war offenbar nicht sehr in Wallung geraten auch nicht das Blut des übrigen Verwaltungspersonals. Sie waren Zivilisten, Tausende von Kilometern von der Heimat entfernt, und sie befanden sich angesichts der neu aufgeflammten Feindseligkeiten in einer exponierten und prekären Lage, die sie in begreifliche Unruhe versetzte.
    Sie waren froh, daß sie ihre Geisel zurückerhalten hatten - eine Kollegin von ihnen -, aber sie war nicht durch offizielle Kanäle wieder in Freiheit gelangt, und nun

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