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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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einen Kuchen gebacken. Sie schnitt ihn an, und alle sangen. Keine Journalisten, Gott sei Dank. Eine Rizome-Zusammenkunft.
    Sie hielt eine kleine Ansprache, die sie während des Fluges entworfen hatte. Über das Ferienheim, und wie der Feind einen Gast getötet und ihr Haus und ihre Gesellschaft beleidigt hatte. Wie sie sich zur Wehr gesetzt hatten, nicht mit Maschinengewehren, sondern mit Wahrheit und Solidarität. Der Kampf, so sagte sie, habe einen hohen Preis gefordert, und Leid und Tragödie über viele Menschen gebracht.
    Heute aber sei die heimliche Verschwörung zwischen Mali und Wien bloßgestellt und zerbrochen, Mali selbst isoliert. Das grenadinische Regime sei ausgelöscht, die Singapurer hätten eine Revolution gehabt. Sogar die europäischen Datenpiraten Los Morfinos - hätten im Verlauf der Ereignisse ihre sicheren Operationsbasen verloren und seien in alle Winde zerstreut. (Applaus.)
    Die alte Wiener Konvention sei in den hochgehenden Wogen der Empörung einer aufgebrachten Weltöffentlichkeit untergegangen, Rizome aber sei stärker denn je. Sie hätten ihr Anrecht auf die Zukunft bewiesen. Sie - das Personal des Ferienheims - könnten auf ihre Rolle in der Weltgeschichte stolz sein.
    Alle applaudierten und hatten glänzende Augen. Allmählich bekam sie Übung in diesen Reden. Sie hatte so oft reden müssen, daß alle Furcht vergangen war.
    Der förmliche Teil war damit beendet, und die Teilnehmer am Empfang fanden sich in schwatzenden Gruppen zusammen. Mrs. Delrosario und Mrs. Rodriguez waren beide in Tränen, und Laura tröstete sie. Sie wurde dem neuen Leiter des Ferienheims und seiner schwangeren Frau vorgestellt. Sie ergingen sich in überschwenglichen Bekundungen, wie schön das Haus sei und wie sehr sie sich freuten, hier zu arbeiten. Laura spielte die Rolle der Bescheidenen, geduldig, abwehrend, gleichmütig.
    Die Leute schienen stets überrascht, sie vernünftig reden zu hören, ohne haarzerraufende Hysterie. Sie hatten sich ihr Urteil über sie bei der Betrachtung von Greshams Aufzeichnung gebildet. Laura hatte die Aufzeichnung (eine der ungezählten Kopien) genau einmal angesehen und dann noch vor dem Ende ausgeschaltet, außerstande, die Eindringlichkeit zu ertragen. Sie wußte jedoch, was andere Leute davon hielten - sie hatte die Kommentare gelesen. Ihre Mutter hatte ihr eine kleine Sammlung von Zeitungsausschnitten aus der Weltpresse zukommen lassen.
    Manchmal, wenn sie mit Fremden bekanntgemacht wurde und sah, daß sie sie beurteilten, dachte sie an diese Kommentare. Denn vermutlich beurteilten diese Leute sie nach dem, was sie gesehen und gelesen hatten. »Mrs. Webster führte überzeugend die naive Entrüstung einer beleidigten Bourgeoise vor« - Freie Presse, St. Petersburg. »Sie trug der Kamera ihre Beschwerden mit der weinerlichen Empörung einer Mätresse vor, die von ihrem Kavalier Vergeltung für erlittene Unbill fordert« - Paris Match. »Häßlich, theatralisch, von schrillem Insistieren, ein Zeugnis, das letzten Endes viel zu unangenehm war, um bezweifelt zu werden« - The Guardian. Diese letztere Kritik hatte sie zehnmal oder zwölfmal gelesen und sogar daran gedacht, den herabwürdigenden Verfasser anzurufen und zur Rede zu stellen - aber wozu? Die Aufzeichnung hatte ihre Wirkung getan, das war genug. Und was sie hatte einstecken müssen, war nichts im Vergleich zu dem, was die Presse über die armen Teufel, die für Wiens Aktivitäten verantwortlich gewesen waren, ausgeschüttet hatte.
    Alles das waren jetzt sowieso alte Kamellen. Thema des Tages war das U-Boot. Jedermann erwies sich als Sachverständiger. Es war selbstverständlich kein amerikanisches TridentU-Boot - die FAKT hatte sie darin belogen, was kaum überraschend war. Sie hatte der ganzen Welt erzählt, daß sie an Bord eines ›Trident‹-U-Bootes gewesen war, während eine Trident in Wirklichkeit eine Rakete war.
    Man hatte sie um eine Beschreibung gebeten und Bilder vorgelegt, und so hatte sich herausgestellt, daß es sich bei dem Boot um ein sowjetisches Raketen-U-Boot der Alfa-Klasse handelte, das vor Jahren an Somalia verkauft worden und angeblich mit der gesamten Besatzung gesunken war. Natürlich war es nicht gesunken - die glücklose Besatzung war von FAKT-Saboteuren, die als Söldner an Bord gegangen waren, vergast worden, und das U-Boot hatte vollständig intakt den Besitzer gewechselt.
    Beinahe die ganze Geschichte war jetzt bekannt, und täglich kamen neue Einzelinformationen hinzu:

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