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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Südafrikanische Hacker waren in die Datenspeicher der FAKT eingedrungen und hatten die Ergebnisse ihrer Nachforschung über Hintergründe und Personen veröffentlicht. FAKT-Agenten im Ausland wurden aufgespürt oder stellten sich freiwillig, benannten ihre Helfer und belasteten ihre früheren Brotgeber.
    Die Gräfin hatte sich angesichts dieser Entwicklung erschossen und ihre sterblichen Überreste einäschern lassen. Außerdem hatte sie ein umfangreiches Testament hinterlassen, das sie vor der Geschichte rechtfertigen sollte. Soweit die Angaben aus Bamako. Einen untrüglichen Beweis für ihren Tod gab es nicht, sowenig wie es Gewißheit über ihre wahre Identität gab. Es gab wenigstens fünf mögliche Kandidatinnen, reiche Frauen von elitärem Sendungsbewußtsein, die sich im politischen Kampf für die Stärkung der Nationalstaaten und gegen die ›plutokratische Weltherrschaft der Multis und ihre kriminellen Ableger in den Steueroasen‹ eingesetzt hatten und zu irgendeinem Zeitpunkt aus dem Rampenlicht der Öffentlichkeit verschwunden waren. Um diesen Komplex rankten sich mittlerweile Hunderte von volkstümlichen Geschichten und unsinnigen Verschwörungstheorien.
    Das Unheimliche und Krankhafte daran war, daß es den Leuten gefiel. Die Vorstellung von einer Gräfin - verrückt oder nicht - an der Spitze einer geheimen Armee und umgeben von gefährlichen und zu allem entschlossenen Kommandeuren fand in der breiten Öffentlichkeit ungeahnten Anklang, obwohl das Netz nicht müde wurde, auf die kriminelle Erbärmlichkeit der Personen und ihrer Umstände hinzuweisen: Die Frau sei geisteskrank gewesen. Alt und zittrig und ohne Kontakt mit der Wirklichkeit, umgeben von skrupellosen politischen Eiferern, militärischen Glücksrittern und Geschäftemachern.
    Aber die Leute wollten es nicht so sehen - man konnte ihnen noch so oft von der Banalität des Bösen predigen, ihr Bedürfnis nach romantischer Verklärung war stärker. Auf einer unbewußten Ebene liebten die Menschen den politischen Umsturz, die Unsicherheit, das Chaos und den perversen Reiz des nuklearen Schreckens. Die Furcht war ein Aphrodisiakum, eine Chance, sich von den allzu überschaubaren Perspektiven abzuwenden und für den Augenblick zu leben. In früheren Zeiten war es immer so gewesen. Jetzt, da sie es selbst erlebte und die Leute davon reden hörte, wußte sie es.
    Jemand hatte den Bürgermeister eingeladen. Magruder erläuterte ihr die komplizierten juristischen Voraussetzungen der Wiedereröffnung des Ferienheims. Er verteidigte die von ihm verfügte Schließung in seiner aggressiven Art, und sie wehrte ihn mit leeren Höflichkeiten ab. »Ach, warten Sie«, sagte sie dann, »da ist jemand, mit dem ich unbedingt sprechen muß.« Und sie ließ ihn stehen und ging aufs Geratewohl auf eine Fremde zu. Eine braungebrannte Frau mit kurzgeschnittenem Haar, die allein auf der anderen Seite des Raumes stand und ein Glas Soda in der Hand hielt.
    Es war Emily Donato. Sie sah Laura kommen und blickte mit einem Ausdruck reinen Entsetzens auf. Laura blieb erschrocken stehen. »Emily«, sagte sie. »Hallo.«
    »Hallo, Laura.« Sie wollte sich zivilisiert benehmen. Laura sah den Entschluß in ihrem Gesicht, sah sie den Fluchtinstinkt überwinden.
    Das Stimmengewirr ging um eine Oktave herunter. Die Leute beobachteten sie über ihre Gläser hinweg, aus den Augenwinkeln. »Ich brauche was zu trinken«, sagte Laura. Eine bedeutungslose Äußerung, aber sie mußte etwas sagen.
    »Ich bring dir was.«
    »Nein, laß uns hinausgehen.« Sie stieß die Tür auf und trat hinaus auf die umlaufende Veranda. Ein paar Leute waren draußen, lehnten am Geländer und beobachteten die Möwen. Laura ging an ihnen vorbei. Emily folgte ihr, widerwillig.
    Sie gingen um das Gebäude, unter der Markise. Es wurde kalt, und Emily, in ihrem einfachen kurzärmeligen Kleid, umfaßte ihre bloßen Oberarme. »Ich vergaß meine Jacke… Nein, es ist schon gut. Wirklich.« Sie stellte ihr Glas auf das hölzerne Geländer.
    »Du hast dir das Haar abschneiden lassen«, sagte Laura.
    »Ja«, sagte Emily, »es macht weniger Arbeit als die Ringellocken.« Lähmende Stille. »Hast du Arthurs Gerichtsverfahren gesehen?«
    Laura schüttelte den Kopf. »Aber ich bin heute froh, daß du mich nie mit ihm bekanntgemacht hast.«
    »Ich kam mir wie eine Hure vor«, sagte Emily, »es fällt mir noch immer schwer, zu glauben, daß er von der FAKT war! Daß ich mit dem Feind schlief, daß er alles aus mir

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