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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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seltsam verlaufen… Laura fühlte sich gegen ihren Willen von einem leisen Schauer abergläubischer Furcht überlaufen.
    Sie schüttelte den Kopf. »In Ordnung, Mutter. David und ich - wir wissen, daß wir auf dich zählen können.«
    »Mehr habe ich nicht verlangt.« Ihre Mutter lächelte. »David war wundervoll - sag ihm, wie gut es mir gefallen hat.«
    Die anderen Passagiere standen auf, griffen zu Aktenkoffern und Reisetaschen. Ihre Mutter küßte das Baby, stand auf und gab es zurück. Lorettas kleines Gesicht umwölkte sich, und sie begann in Vorbereitung eines Gewinsels zu schnaufen.
    »Ah-oh«, machte Laura. Sie ließ sich eine schnelle, unbeholfene Umarmung von ihrer Mutter gefallen. »Wiedersehen.«
    »Ruf mich an.«
    »In Ordnung.« Laura wiegte die Kleine in den Armen, um sie zu besänftigen, und sah ihrer Mutter nach, bis sie in der Menschentraube beim Ausgang verschwand. Eine Fremde unter anderen. Es war eine Ironie, dachte Laura. Seit sieben Tagen hatte sie auf diesen Augenblick gewartet, und nun, da er gekommen war, schmerzte es irgendwie doch.
    Sie blickte auf ihr Uhrtelefon. Bis zur Ankunft der Grenadiner hatte sie eine Stunde totzuschlagen. Sie ging ins Cafe. Leute starrten sie und das Baby an. In einer Welt, die mit alten Leuten vollgestopft war, hatten Säuglinge Seltenheitswert. Selbst völlig fremde Leute wurden weich, machten Gesichter und winkten Loretta mit den Fingern.
    Laura setzte sich an einen Tisch, trank den schlechten Kaffee und spürte, wie die Spannung sich löste. Sie war froh, daß ihre Mutter fort war. Stücke ihrer unterdrückten Persönlichkeit stiegen langsam wieder auf und nahmen ihren Platz ein. Wie kontinentale Platten, die sich nach einer Eiszeit, befreit von ihrer Last, wieder emporheben.
    Eine junge Frau zwei Tische weiter interessierte sich für Loretta. Ihre Augen leuchteten, und sie lächelte der Kleinen immer wieder breit zu. Laura betrachtete sie verwirrt. Etwas an dem breiten, sommersprossigen Gesicht kam Laura typisch texanisch vor. Ein derbes, kräftiges Gesicht, dachte Laura - genetisches Vermächtnis nüchterner, abgehärteter Frauen in langen Kattunkleidern, die mit der Flinte im Arm auf dem Kutschbock durch Komanchenland gefahren waren und ohne Arzt und Hebamme sechs Kinder geboren hatten. Es zeigte sich sogar durch die grelle Aufmachung der Frau - blutroter, wächserner Lippenstift, dramatisch umrandete Augen, das Haar zu einer Mähne frisiert… Erschrocken begriff Laura, daß die Frau eine Prostituierte sein mußte, wahrscheinlich eine Anhängerin der Kirche von Ischtar.
    Der Grenadiner Flug wurde angesagt, eine Verbindung von Miami. Die Tempelprostituierte sprang sofort auf, erregte Röte in den Wangen. Laura ging ihr nach. Sie eilte sofort zur Ankunftshalle.
    Laura stand unweit von ihr, als die Fluggäste hereinkamen. Sie katalogisierte die Passagiere mit einem Blick, während sie auf ihre Gäste wartete. Eine Familie vietnamesischer Garnelenfischer. Ein Dutzend schäbiger, aber optimistischer Kubaner mit Einkaufstaschen. Eine Gruppe ernster schwarzer Studenten, mit dem Namen ihrer Verbindung auf den Pullovern. Drei Ölarbeiter von einer Bohrinsel, runzlige alte Männer mit Cowboyhüten und Gummistiefeln.
    Plötzlich schob sich die Ischtarfrau an sie heran und sagte: »Sie sind bei Rizome, nicht wahr?«
    Laura nickte.
    »Dann warten Sie also auf Sticky und den alten Mann?« Ihre Augen funkelten. Es verlieh ihrem gemalten Gesicht eine seltsam puppenhafte Munterkeit. »Hat Reverend Morgan mit Ihnen gesprochen?«
    »Sie war bei mir«, sagte Laura. Sie kannte niemanden namens Sticky.
    Die Frau lächelte. »Ein niedliches Baby… Oh, da sind sie schon!« Sie hob den Arm über den Kopf und winkte aufgeregt.
    Ihre ausgeschnittene Bluse zeigte Ränder eines roten Büstenhalters. »Juhu! Sticky!«
    Ein altmodischer Rastafarier, dessen Haare zu hundert Rattenschwänzen zusammengedreht war, bahnte sich den Weg aus dem Menschenstrom. Der alte Mann trug ein langärmeliges Dashiki aus billigem Synthetik über Pluderhosen, dazu Sandalen.
    Sein junger Gefährte trug eine Windjacke aus Nylon, Sonnenbrille und Jeans. Die Frau stürzte auf ihn zu und umarmte ihn. »Sticky!« Der jüngere Mann hob die Kirchenfrau mit unerwarteter drahtiger Kraft in die Höhe und wirbelte sie halb im Kreis herum. Sein dunkles, gleichmäßiges Gesicht blieb ausdruckslos, soweit die Sonnenbrille es zeigte.
    »Laura?« Eine Frau war lautlos neben Laura erschienen. Es war Debra Emerson, die bei

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