Inseln im Netz
Verwirrung erschien Hoffnung. »Also wird diese Sache weiterverfolgt? Trotz allem, was vorgefallen ist?«
»Selbstverständlich, Laura. Das Problem hat sich dadurch nicht verflüchtigt. Im Gegenteil, es ist jetzt drängender als zuvor. Wir können von Glück sagen, daß wir Sie nicht verloren haben - Sie, eine sehr wertvolle Mitarbeiterin.«
Laura blickte überrascht auf. Debra Emersons Gesicht war ganz gelassen - das Gesicht einer Frau, die einfach die Wahrheit wiedergibt. Nicht Schmeichelei - eine Tatsache. Laura setzte sich gerade. »Nun, es war ein Angriff auf Rizome, nicht? Ein direkter Angriff auf unsere Gesellschaft.«
»Ja. Sie fanden unsere schwache Stelle - die FAKT, oder die Leute hinter diesem Namen.« Ein bedenklicher Ausdruck kam in ihre Züge. »Es muß ein Sicherheitsleck gegeben haben. Diese ferngesteuerte Flugmaschine - ich vermute, sie hat seit Tagen auf die Gelegenheit zum Angriff gewartet. Jemand wußte von der Konferenz und beobachtete dieses Haus.«
»Ein Sicherheitsleck innerhalb der Gesellschaft?«
»Wir sollten keine übereilten Schlußfolgerungen ziehen, aber wir werden die Wahrheit in Erfahrung bringen müssen. Das ist wichtiger als dieses Ferienheim, Laura. Sehr viel wichtiger.« Sie machte eine Pause, fuhr dann fort: »Wir können mit den Wiener Ermittlern zu einer Verständigung kommen, ebenso mit der Stadt Galveston. Aber das ist nicht der schwierigste Teil. Wir versprachen den Teilnehmern dieser Konferenz Sicherheit, und wir versagten. Nun brauchen wir jemand, der die erhitzten Gemüter beruhigt. In Grenada.«
Das Ferienheim Chattahoochee lag in den Vorbergen der Smoky Mountains, ungefähr hundert Kilometer nordöstlich von Atlanta. Achthundert Morgen in einem Tal zwischen bewaldeten Hügeln, durchflossen von einem Gebirgsbach, dessen weißes Gestein um diese Jahreszeit trocken lag.
Chattahoochee wurde vom Zentralausschuß bevorzugt; es war der Stadt nahe genug, um bequem erreichbar zu sein, und entlegen genug, daß Rizomes Feriengäste nicht zu sehr von Ausflüglern gestört wurden.
Neulinge wurden oft hierher gebracht, um mit dem Kollektiv des Zentralausschusses bekannt zu werden, und hier hatte Emily sie mit David Webster bekannt gemacht. Wieder in dem alten gemauerten Farmhaus, konnte Laura nicht zu den Hügeln hinausblicken, ohne sich jenes Abends zu erinnern: David, ein Fremder, lang und dünn in elegantem Mitternachtsblau, mit einem Cocktailglas in der Hand, das dunkle Haar bis auf die Schultern fallend.
Alle Neulinge, die an dem Empfang teilgenommen hatten, waren bestrebt gewesen, sich möglichst elegant zu kleiden, um ein bißchen wider den Stachel zu lecken, zu zeigen, daß sie sich nicht so leicht vergesellschaften ließen, besten Dank. Aber nun waren sie wieder hier in den Wäldern Georgias, Jahre später, wieder als Gäste des Zentralausschusses, aber keine Neulinge mehr, sondern vollwertige Gesellschafter, die ihre Lebensstellung gefunden hatten.
Natürlich waren die Ausschußmitglieder inzwischen andere, aber gewisse Traditionen setzten sich fort.
Man konnte die Bedeutung dieses Treffens an der bemühten Zwanglosigkeit ihrer Kleidung erkennen. Normale Probleme hätten sie in Atlanta behandelt, aber diese GrenadaSituation war eine echte Krise. Darum hatten sich alle Ausschußmitglieder wie schulterklopfende Hinterwäldler zurechtgemacht: Ausgefranste Jeans, karierte Flanellhemden mit aufgerollten Ärmeln… Garcia-Meza, ein stämmiger mexikanischer Industrieller, der aussah, als könne er Nägel durchbeißen, trug einen großen, strohgeflochtenen Picknickkorb.
Es war komisch, sich Charlie Cullen als Vorsitzenden zu denken. Laura hatte Cullen seit seiner Ernennung nicht gesehen, kannte ihn aber aus der Zeit, als sie das Ferienheim gebaut hatten. Cullen war Biochemiker, der sich auf die Verwendung von Kunststoffen im Bauwesen spezialisiert hatte, ein netter, umgänglicher Mensch. Er war ein großartiger Vorsitzender für den Zentralausschuß von Rizome, weil man ihm instinktiv vertraute, aber seine kämpferischen Qualitäten waren nicht überzeugend. Seit seiner Ernennung hatte er die Gewohnheit angenommen, einen grauen Filzhut zu tragen, den er in den Nacken schob, so daß er weniger wie ein Hut und mehr wie ein Heiligenschein aussah. Es war sonderbar, wie Autorität Menschen beeinflußte.
Cullens ganzes Gesicht hatte sich verändert. Mit seinem breiten Kinn, der ausgeprägten Nase und dem etwas dünner und strenger gewordenen Mund entwickelte er eine
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