Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
gewisse Ähnlichkeit mit George Washington. Die anderen waren Sharon McIntyre, Emily Donatos Mentorin im Ausschuß, Emily selbst, die ihre Ringellocken unter einem Kopftuch zusammengefaßt hatte, so daß sie einer Bäuerin glich, die gerade den Kachelofen ausgeräumt hat; sodann Kaufmann, der Rizomes Interessen in Europa vertrat und es fertigbrachte, sogar in Jeans und mit Rucksack gebildet und gepflegt auszusehen; De Valera, der selbsternannte Unruhestifter des Ausschusses, der zu großen Auftritten neigte, aber stets intelligente Ideen beisteuerte; der professorenhafte Gauss, und der gemütlich-versöhnliche Raduga; und schließlich der alte Saito. Saito trug eine Pelzmütze und eine Bifokalbrille, und beim Gehen stützte er sich auf einen langen Knotenstock, wie ein bastardisierter taoistischer Eremit.
    Dann waren sie selbst, David und Debra Emerson dabei. Nicht als Ausschußmitglieder, aber als Zeugen.
    Cullen machte auf einer laubbestreuten herbstlichen Lichtung halt. Aus Sicherheitsgründen fand die Besprechung fern von allen elektrischen Kabeln statt. Sie hatten sogar ihre Uhrtelefone in einem der Farmhäuser zurückgelassen.
    McIntyre und Raduga breiteten ein großes kariertes Tuch aus. Alle formierten sich zu einem Kreis und ließen sich nieder. Sie faßten einander bei den Händen und sangen die Rizome-Hymne. Dann aßen sie.
    Es war faszinierend zu sehen, wie die Ausschußmitglieder sich um das Gemeinschaftsgefühl bemühten. Sie hatten es sich zu diesem Zweck sogar zur Gewohnheit gemacht, wochenlang zusammenzuleben. Gemeinsam wuschen sie die Wäsche, kümmerten sich um die Kinder. Es war Politik. Sie waren gewählt, doch einmal an der Macht, hatten sie beträchtliche Autorität und taten ihr Möglichstes, daß es dabei blieb. Der Zentralausschuß von Rizome konnte mithin als eine mehr oder weniger offene Verschwörung angesehen werden.
    Die Mode intensiver Gemeinschaftspflege unterlag im Laufe der Zeit natürlich Schwankungen. Vor Jahren, während Saitos Amtszeit als Vorsitzender, hatte der Gemeinschaftsgeist einen legendären Höhepunkt erreicht, als er den ganzen Ausschuß nach Hokkaido eingeladen hatte. Als sie vor Tagesanbruch aufgestanden waren, um nackt in eiskalten Wasserfällen zu baden. Und braunen Reis gegessen und, wenn das Gerücht zutraf, einen Hirsch erlegt, geschlachtet und verzehrt hatten, während sie drei Tage lang in einer Höhle lebten. Niemand hatte später viel über das Erlebnis gesprochen, doch ließ sich nicht leugnen, daß sie eine fest zusammengeschweißte Gruppe geworden waren.
    Freilich ähnelte die Geschichte den meist mehr oder weniger erfundenen, halb legendären Begebenheiten, die im Umkreis eines jeden Machtzentrums kolportiert wurden, aber der Ausschuß nährte die Mythenbildung. Und das hatte sein Gutes: In Krisenzeiten setzte sich sofort eine instinktive, gefühlsmäßige Solidarität durch.
    Es war bei weitem nicht vollkommen. Das konnte man an der Art und Weise sehen, wie sie sich verhielten - der Art und Weise, zum Beispiel, wie De Valera und Kaufmann ein unnötiges Aufhebens davon machten, wer das Brot schneiden und austeilen solle. Aber man konnte feststellen, daß es funktionierte. Die genossenschaftliche Struktur von Rizome brachte es mit sich, daß die Gesellschafter - und ihre Zahl war weitaus höher als die Zahl der Mitglieder im Zentralausschuß - ihr Unternehmen nicht nur als einen Arbeitsplatz sahen. Es war ein Gefühl der Stammeszugehörigkeit entstanden. Man konnte dafür leben und sterben.
    Es war eine einfache Mahlzeit: Äpfel, Brot, Käse, ein ›Schinkenaufstrich‹, der offensichtlich Scop mit künstlichem Geschmack war. Und Mineralwasser. Dann kamen sie zur Sache, doch nicht so, daß jemand zur Ordnung rief, sondern allmählich, beinahe von selbst.
    Sie begannen mit der FAKT. Sie fürchteten sie mehr als Grenada. Die Grenadiner waren Diebe und Datenpiraten, aber wenigstens hielten sie sich im Hintergrund, während die FAKT, wer auch dahinter steckte, die Gesellschaft in ernste Verlegenheit gebracht hatte. Die Folge davon war, daß sie sich jetzt um Wien sorgen mußten, obwohl Wiens Haltung schwankte.
    Rizome war entschlossen, die FAKT und ihre Hintermänner aufzudecken. Man konnte nicht erwarten, daß es einfach sein würde, aber Rizome war ein bedeutendes multinationales Unternehmen mit Tausenden von Gesellschaftern, fünfzigtausend Mitarbeitern und Außenposten in fünf Kontinenten. Sie hatten Kontakte überall im Kommunikationsnetz und

Weitere Kostenlose Bücher