Inseln im Netz
unter Lauras Schuhen nicht zur Ruhe kommen. Der Boden in Flughäfen war nicht Teil der Welt. Er hatte seine eigene Logik - Flughafenkultur. Austauschbare Inseln in einem Netz von Luftverkehrsrouten. Eine Atmosphäre von Heimatlosigkeit und Schweiß und Jetlag und dem Geruch von Gepäck.
Als der Flug aufgerufen wurde, gingen sie zum Flugsteig Diez-y-seis, Aero Cubana. Die billigste Fluglinie in der Karibik, weil die kubanische Regierung Flüge subventionierte. Die Kubaner waren noch immer empfindlich wegen der aufgezwungenen Isolation in den Jahrzehnten des Kalten Krieges.
David bestellte Cola, wann immer die Stewardess vorbeikam, und füllte die Gläser mit gefährlichen Portionen beißenden Rums auf. Ein langer Flug nach Grenada. Die Entfernungen hier draußen waren riesig. Die Karibik war gesprenkelt mit Wolken, tief unten lag der grünliche Ozean. Es wurde ein synchronisierter russischer Film gezeigt, der eine Menge Tanzeinlagen zu heißer Popmusik aus St. Petersburg hatte, jede Menge Frisuren und Lichteffekte. David hatte Kopfhörer übergestülpt, summte mit und wippte Loretta auf dem Knie. Loretta war verblüfft von den Ereignissen der Reise - wenn sie nicht schlief, glotzte sie umher, und ihr süßes kleines Gesicht war leer wie das einer Puppe.
Der Rum traf Laura wie warmer, narkotischer Teer. Die Welt wurde exotisch. Geschäftsleute weiter vorn hatten ihre Laptops in Betrieb genommen. Die Stecker waren oben neben den Öffnungen der Klimaanlage angeschlossen. Zwölftausend Meter über dem karibischen Nichts, aber angeschlossen an das Netz. Glasfaserkabel baumelten über den Sitzen, als ob die Reisenden am Tropf hingen.
Laura lehnte sich zurück und stellte das Gebläse so ein, daß der Luftstrom ihr Gesicht traf. Irgendwo unter der alkoholischen Betäubung lauerte Luftkrankheit. Sie sank in einen benommenen Dämmerschlaf. Sie träumte… Sie trug die Uniform der Aero Cubana-Stewardessen, ein schmuckes blaues Kostüm, irgendwie paramilitärisch im Stil der Zeit um 1940, mit eckigen Schultern und einem Plisseerock. So schob sie ihren Buffetwagen durch den Gang. Jedem Reisenden mußte sie einen kleinen Plastikbecher mit etwas geben. Milch war es. Sie streckten alle die Hände nach dieser Milch aus und blickten sie mit einem Ausdruck ausgedörrter Verzweiflung und mitleiderregender Dankbarkeit an. Sie waren so froh, daß sie da war und wünschten wirklich ihre Hilfe - sie wußten, daß sie ihr Los erleichtern konnte… Sie sahen alle ängstlich aus, rieben sich die schwitzende Herzgegend, als ob sie dort Schmerzen hätten…
Ein plötzliches Schwanken weckte sie. Es war Nacht geworden. David saß im Lichtschein der Leselampe und starrte auf den Bildschirm seines Datenanschlusses. Laura war momentan völlig desorientiert. Ihre Beine waren verkrampft, der Rücken schmerzte, ein ekliger Geschmack war in ihrem Mund, und an ihrer Wange klebte Speichel… Jemand, wahrscheinlich David, hatte eine Decke über sie gelegt. »Meine Optima Persona«, murmelte sie. Die Maschine bockte wieder, dreioder viermal.
»Aufgewacht?« sagte David und zog seinen Ohrenstöpsel heraus. »Wir kommen in schlechtes Wetter.«
»Ja?«
»September in der Karibik.« Die Zeit der Wirbelstürme, dachte sie - er brauchte es nicht zu sagen. Er sah auf sein neues Multifunktions-Uhrtelefon. »Noch eine Stunde.« Auf dem Bildschirm war ein Rizome-Gesellschafter mit einem Cowboyhut zu sehen, der vor der Kamera gestikulierte; im Hintergrund ragte ein Gebirgszug auf. David hielt das Bild mit einem Tastendruck fest.
»Du beantwortest Post?«
»Nein, zu betrunken«, sagte David. »Seh's mir nur an. Dieser Anderson in Wyoming - so ein Nachtwächter.« David schaltete das Gerät aus. »In Atlanta sammelt sich jede Menge Mist für uns an - oh, entschuldige, demokratische Eingaben. Dachte bloß, ich könnte es auf Diskette nehmen, bevor wir von Bord gehen.«
Laura richtete sich ächzend auf. »Ich bin froh, daß du bei mir bist, David.«
Er sah erheitert und gerührt aus. »Wo sollte ich sonst sein?« Er drückte ihr die Hand.
Das Baby schlief auf dem Sitz zwischen ihnen in einem zusammenklappbaren Korb aus verchromtem Draht und gepolstertem gelbem Synthetik. Laura berührte Lorettas Wange. »Alles in Ordnung mit ihr?«
»Klar. Ich gab ihr etwas Rum; nun wird sie die nächsten Stunden schlafen.«
Laura unterbrach ihr Gähnen. »Du gabst ihr…?« Er scherzte. »Soweit mußte es also kommen«, sagte sie. »Unser unschuldiges Kind zu betäuben.«
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