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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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wie Papa Doc und Steppin' Razor und Whippin' Stick. Als sie hinaufblickte, hatte Laura plötzlich ein klares Vorstellungsbild vom alten Louison. Mager und faltig, ein wackliger Greis mit gelben Fingernägeln, der schlaflos durch die vom Fackelschein erhellten Kasematten des Forts tappte. In einer goldbetreßten Jacke, heißes Ziegenblut schlürfend, die nackten Füße in ein paar Kleenex-Schachteln.
     
    Der Hyundai fuhr unter bernsteinfarbenen Bogenlampen durch die Stadt. Sie passierten ein paar brasilianische Dreiradfahrzeuge, kleine wespenartige Wagen in Gelb und Schwarz, deren Motoren mit Alkohol liefen. Saint George machte den schläfrigen Eindruck einer Stadt, wo wochentags jeden Abend der Straßenbelag eingerollt wird. Im Stadtzentrum ragten fünf oder sechs Hochhäuser im alten, häßlichen Internationalen Stil. Ihre monotonen Wände waren gesprenkelt mit beleuchteten Fenstern. Eine schöne alte Kolonialkirche mit einem hohen, eckigen Uhrturm. Baukräne überragten das halbfertige Skelett eines neuen Stadions. »Wo ist die Bank?« fragte David.
    Sticky hob die Schultern. »Überall, wo Kabel sind.«
    »Gutaussehende Stadt«, sagte David. »Keine Elendsviertel, niemand schläft in den Unterführungen. Sie könnten Mexiko City etwas lehren.« Keine Antwort. »Auch Kingston.«
    »Wir werden Atlanta was lehren«, versetzte Sticky. »Unsere Bank - Sie meinen, wir seien Diebe. Im Gegenteil, Mann. Ihre Banken sind es, die diesen Leuten seit vierhundert Jahren das Blut aussaugen. Jetzt ist der Schuh am anderen Fuß.«
    Die Lichter der Hauptstadt blieben zurück. Loretta regte sich in ihrer Tragetasche, fuchtelte mit den Armen und füllte geräuschvoll ihre Windel. »Ah-oh«, sagte David. Er öffnete das Fenster. Der Geruch warmen tropischen Regens drang in einem Schwall in den Wagen. Ein anderer Geruch mischte sich hinein, würzig, durchdringend, mit Erinnerungen befrachtet. Ein Küchengeruch. Muskatnuß, erkannte Laura. Die Hälfte des Weltverbrauchs an Muskatnuß kam aus Grenada. Echte natürliche Muskatnuß, von Bäumen. Sie umfuhren eine Bucht – Lichter glitzerten von einer vorgelagerten Station, blinkten im ruhigen Wasser. Industrieller Widerschein auf den tiefhängenden grauen Wolken.
    Sticky rümpfte die Nase und blickte über die Schulter zu Loretta, als ob sie ein gefüllter Müllsack wäre. »Warum bringen Sie das Baby mit? Es ist gefährlich hier.«
    Laura runzelte die Stirn und suchte in der Reisetasche nach den frischen Windeln. David sagte: »Wir sind keine Soldaten. Wir sehen uns nicht als Zielscheiben.«
    »Das ist eine komische Denkweise«, sagte Sticky.
    »Vielleicht glauben Sie, sie wäre bei uns zu Hause sicherer«, sagte Laura. »Aber wie Sie wissen, wurden wir mit einer Maschinenwaffe beschossen.«
    »Ja, gut«, meinte Sticky. »Vielleicht können wir ihm ein kugelsicheres Lätzchen schneidern lassen.«
    (»Oh, er ist witzig. Sie vergeuden seine Talente; er sollte in einer Komödie auftreten.«)
    Sticky bemerkte ihr Stillschweigen. »Keine Bange, Atlanta«, sagte er mit erhobener Stimme. »Wir geben auf diese Gäste besser acht, als Sie auf unsere achtgegeben haben.«
    (»Auweh«,) flüsterte Emily.
    Schweigend legten sie weitere Kilometer zurück. (»Ihr solltet diese Zeit nicht vergeuden«,) sagte Emily, (»also werde ich euch ein paar ausgewählte Glanzlichter der Wahlreden unserer Ausschußmitglieder überspielen…«) Laura lauschte aufmerksam; David spielte mit dem Baby und blickte zum Fenster hinaus.
    Dann verließ der Hyundai die Fernstraße, bog in eine kiesbestreute Zufahrt. Emily unterbrach eine Ansprache über Rizomes Anteile am Holzgeschäft und bei Mikrochips. Der Wagen fuhr durch dichte Kasuarinenbestände aufwärts. Er hielt in Dunkelheit.
    Der Wagen hupte einmal, und auf zwei gußeisernen Pfosten am Eingangstor einer herrschaftlichen Pflanzung flammten Lichter auf. Das Grundstück war mit hohen Mauern umgeben, auf denen einzementierte Glasscherben glitzerten.
    Verspätet eilte ein Wächter herbei, ein zerknittert aussehender jugendlicher Milizionär mit einem umgehängten Fesselgewehr, das mit seiner trichterförmigen Mündung einer altertümlichen Donnerbüchse ähnelte. Sticky stieg aus. Der Wächter sah verschlafen und schuldbewußt aus. Als er das Tor öffnete, kehrte Sticky seinen Rang heraus und stauchte den Jungen zusammen. »He, laß diesen militaristischen Scheiß«, murmelte David für das Protokoll.
    Der Wagen rollte in einen kiesbestreuten Hof mit einem inaktiven

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