Inseln im Netz
überblicken; das Deck erstreckte sich wie eine Autobahn mit vierundzwanzig Fahrspuren. Jenseits davon waren auch kleine Abschnitte vom Ozean zu sehen, zu entfernt, um viel auszumachen. Beim Blick durch die Fenster sah Laura, daß an der Backbordseite des Supertankers ein paar große Lastkähne festgemacht hatten. Vorher waren sie von der Masse des Schiffsrumpfes vollständig verdeckt gewesen. Die Barken pumpten ihre Ladungen durch massive, gerippte Rohrleitungen an Bord. Der Anblick war von einer beklemmenden Widerwärtigkeit, in einer unbestimmten Weise obszön, wie die parasitische Sexualität gewisser Tiefseefische.
»Wollen Sie nicht hinausschauen?« fragte Carlotta; sie schwang das Baby an ihrer Hüfte vor und zurück. Andrej und David waren in ein Gespräch vertieft, untersuchten Meßgeräte und redeten in einem fort. Noch dazu über so fesselnde Themen wie Proteinfraktionierung und Schraubenstrahlturbulenzen. Ein Schiffsoffizier half mit Erklärungen aus, einer der wichtigen Männer mit vielen Schreibgeräten in der Brusttasche. Er sah unheimlich aus: schwärzliche Haut und glattes, flachsblondes Haar. »Das ist eher was für David«, sagte Laura.
»Nun, könnten Sie dann für eine kleine Weile aus der Leitung gehen?«
»Wie?« Laura stutzte. »Wenn Sie mir etwas erzählen wollen, sollten Sie es auch Atlanta erzählen können.«
»Sie müssen scherzen«, sagte Carlotta und verdrehte die Augen. »Was ist dabei, Laura? Im Ferienheim redeten wir die ganze Zeit unter vier Augen, und niemand kümmerte sich darum.«
Laura überlegte. »Was meinen Sie, Kontakt?«
(»Nun, natürlich, ich vertraue Ihnen«,) sagte King. (»Nur zu! Ich sehe nicht, daß Sie in irgendeiner Gefahr wären.«)
»Also gut… solange David da ist und über mich wacht«, sagte Laura. Sie trat zum Navigationstisch, nahm Videobrille und Ohrhörer ab und legte sie auf den Tisch. Dann kam sie zurück zu Carlotta, war aber sorgsam darauf bedacht, im Blickfeld der Brillengläser zu bleiben. »Gut so?«
»Sie haben wirklich seltsame Augen, Laura«, murmelte Carlotta. »Beinahe gelbgrün… Ich hatte vergessen, wie sie aussehen. Es ist leichter, mit Ihnen zu reden, wenn Sie nicht dieses Gestell auf der Nase haben - irgendwie sehen Sie mit dem Ding wie ein Insekt aus.«
»Vielen Dank«, sagte Laura. »Vielleicht sollten Sie mit den Halluzinogenen ein bißchen kürzer treten.«
»Was soll dieses Von-oben-herab-Getue?« entgegnete Carlotta. »Ihre Großmutter, Loretta Day, von der Sie soviel halten, wurde einmal wegen Drogenbesitz eingesperrt. Oder vielleicht nicht?«
Laura war überrumpelt. »Was hat meine Großmutter damit zu tun?«
»Nur soviel, daß sie Sie aufzog und für Sie sorgte, was Ihre richtige Mutter nicht tat. Und ich weiß, daß Sie große Stücke auf Ihre alte Großmama hielten.« Carlotta warf das Haar mit einem Schwung über die Schulter und weidete sich an Lauras Bestürzung. »Wir wissen alles über Sie… und sie… und David… Je weiter wir zurückgehen, desto einfacher ist es, an die Unterlagen heranzukommen. Denn niemand bewacht alle diese Daten. Es gibt einfach zuviel davon, um sie zu bewachen, und niemandem liegt wirklich daran! Aber die Bank denkt anders darüber, und so haben wir das ganze Zeug.«
Carlotta musterte Laura aus schmalen Augen. »Heiratsurkunde, Scheidungspapiere, Kontoauszüge, Namen, Anschriften, Telefonnummern… Zeitungen, von Computern über zwanzig, dreißig Jahre hinweg nach jeder einzelnen Erwähnung ihres Namens durchforscht… Ich habe Ihr Dossier gesehen, Laura Webster. Alle Arten von Fotos, Aufzeichnungen, Hunderttausende von Worten. Es ist wirklich unheimlich… Ich kenne Sie so gut, daß ich in gewisser Weise das Gefühl habe, in Ihrem Kopf zu sein. Manchmal weiß ich, was Sie sagen werden, noch bevor Sie es tun, und das bringt mich zum Lachen.«
Laura merkte, daß sie errötete. »Ich kann Sie nicht daran hindern, in meine Privatsphäre einzudringen. Vielleicht gibt Ihnen das einen unfairen Vorteil mir gegenüber. Aber ich treffe keine endgültigen Entscheidungen - ich vertrete nur mein Unternehmen.« Ein paar Offiziere, die einen der Monitorbildschirme beobachtet hatten, verließen die Brücke mit Mienen ernster Pflichterfüllung. »Warum erzählen Sie mir das eigentlich, Carlotta?«
»Ich bin selbst nicht ganz sicher«, sagte Carlotta. Sie sah ehrlich erstaunt aus, sogar ein wenig verletzt. »Ich glaube, es liegt daran, daß ich nicht sehen möchte, wie Sie blindlings in etwas
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