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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Werwolfgeräusche. Dann ging er in einen gräßlichen Rückwärtsgesang über - hub hub hub, wie eine schmatzende Brustwunde. Die schwachsinnigen Geräusche rieselten auf die Tischgäste herab, aber niemand schenkte ihnen Beachtung.
    Laura wandte sich zu dem jungen Drei-Stifte-Kader zu ihrer Linken. Der Mann wedelte mit den Fingern über Lorettas Tragtasche und blickte schuldbewußt auf, als sie ihn anredete. »Die Musik? Wir nennen es Didge-Ital… dig-ital… Das hauen wir hier an Bord zusammen.« Ja. Sie hatten den armen alten Bing in ein brüllendes, stöhnendes Ungeheuer verwandelt. Er hörte sich an, als ob sein Kopf aus Blech gemacht wäre.
    Inzwischen wurde David von Blaize und Andrej über Geldfragen belehrt. Den grenadinischen Rubel. Grenada hatte eine geschlossene, bargeldfreie Wirtschaft; jeder Bewohner der Insel hatte eine persönliche Kreditkarte, ausgestellt auf die Bank. Diese Politik hielt die ›üble globale Währung‹, den Euro, aus dem lokalen Umlauf heraus. Und damit waren die ›kriechenden Fangarme des finanziellen und kulturellen Imperialismus‹, wie das Netz ihn verkörperte, ›abrasiert‹.
    Laura lauschte dieser PR-Anstrengung mit säuerlicher Erheiterung. Sie würden diese Rhetorik nicht bemühen, wenn sie nicht versuchten, eine wirkliche Schwäche zu verbergen, dachte sie. Es lag auf der Hand, daß die Bank alle Kredittransaktionen der gesamten Bevölkerung archivierte, so daß sie durch einen Blick auf den Computerbildschirm jedem Bürger über die Schulter gucken konnte. Aber das erinnerte zu sehr an Orwell. War den bösen alten Stalin und Mao die Abschaffung des Geldes nur nicht gelungen, weil sie noch keine leistungsfähigen Computer gehabt hatten? David hob unschuldig die Brauen und fragte, wie es mit dem Devisenschwarzhandel stehe, einer alten Krankheit in den Zeiten des monolithischen Ostblocks. Andrej machte ein steifes und tugendhaftes Gesicht, und Laura versteckte ihr Lächeln hinter einer Gabelvoll falscher Karotten. Sie war bereit, jede Wette einzugehen, daß ein Bündel Papiereuro ausreichen würde, um den durchschnittlichen Grenadiner mit Leib und Seele zu kaufen. Ja, es war genau wie mit diesen Devisenschwarzhändlern der alten Zeiten, die in Moskau fremde Touristen zum Umtausch von Dollars gedrängt hatten. Große Flöhe hatten kleine Flöhe, große Schwarzmärkte hatten kleine Schwarzmärkte.
    Laura war erfreut, überzeugt, daß sie auf etwas gestoßen sei. Noch am selben Abend wollte sie Debra Emerson in Atlanta auf einer chiffrierten Leitung sagen, daß hier ein Ansatzpunkt für eine Brechstange sei. Debra würde schon wissen, wie weiter zu hantieren war: Es war genau wie die schlimme alte CIA-Arbeit vor der Abrüstung… Wie hatten sie es damals genannt? Destabilisierung.
    »Es ist nicht wie der alte Warschauer Pakt, vor der Öffnung«, fuhr Andrej fort und schüttelte seinen hübschen blonden Kopf. »Unsere Insel ist mehr wie ein kleines OPEC-Land, wie Kuwait oder Abu Dhabi… Zuviel leichtverdientes Geld frißt die gesellschaftlichen Werte auf, macht das Leben zu einer Art Disneyland, lauter dicke Cadillacs und die Trickfilmgestalten - leer, bedeutungslos.«
    Blaize lächelte ein wenig, die Augen halb geschlossen, wie ein Buddha. »Ohne die Disziplin unserer Bewegung«, rumpelte er, »würde unser Geld zurückfließen, wie Wasser bergab fließt: von der Peripherie der Dritten Welt hinab zu den Zentren des Netzes. Ihr freier Markt‹ betrügt uns; in Wahrheit ist er ein babylonischer Sklavenmarkt! Babylon würde auch unsere besten Leute an sich ziehen… sie würden dorthin gehen, wo die Telefone bereits funktionieren, wo die Straßen schon gepflastert sind. Sie wünschen die Infrastruktur, wo das Netz am dichtesten geflochten ist, wo es am einfachsten ist, zu Wohlstand zu gelangen. Es ist ein bösartiger Teufelskreis, der für die Leiden der Dritten Welt verantwortlich ist.«
    »Aber heute ist das Abenteuer hier!« warf Andrej ein. »In Ihrem Amerika sind keine Grenzen mehr, David, mein Freund! Heute gibt es nur noch Anwälte und Bürokraten und › Untersuchungen der sozialen Folgen ‹ ...« Er schlug mit seiner Gabel auf die Tischplatte. »Gefängnismauern aus Papierkrieg, die modernen Pionieren das Leben und die Hoffnung aussaugen! Geradeso häßlich, geradeso ein Verbrechen wie die alte Berliner Mauer, David. Nur schlauer. Mit besserer Public Relations.« Er warf Laura einen Seitenblick zu. »Wissenschaftler und Ingenieure, und auch Architekten, ja - wir

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