Inseln im Netz
hineinlaufen, das Sie nicht sehen können. Sie glauben sicher zu sein, weil Sie für den Mann arbeiten, aber die Tage des Mannes sind gezählt. Die wahre Zukunft ist hier, an diesem Ort.« Carlotta dämpfte ihre Stimme und trat näher; ihr Gesichtsausdruck war ernst. »Sie stehen auf der falschen Seite, Laura. Der Verliererseite, langfristig gesehen. Diese Leute haben Dinge im Griff, die der Mann nicht herausrücken will. Aber er kann tatsächlich nichts dagegen tun. Weil sie über ihn Bescheid wissen. Und Sie können hier Sachen machen, an die normale Menschen nicht einmal denken mögen.«
Laura rieb sich das linke Ohr, das vom Knopf des Ohrhörers ein wenig wund war. »Sie sind wirklich beeindruckt von dieser Schwarzmarkttechnik, Carlotta?«
»Gewiß, so ist das«, sagte Carlotta und schüttelte ihren Wuschelkopf. »Aber sie haben Louison, den Premierminister. Er kann seine Optimas erwecken. Er kann sie herausrufen, Laura seine Personae, verstehen Sie? Sie gehen im hellen Tageslicht umher, während er dieses alte Fort nie verläßt. Ich habe sie gesehen, wie sie durch die Straßen der Hauptstadt gingen… kleine alte Männer.« Carlotta schauderte.
Laura starrte sie mit einer Mischung von Beunruhigung und Mitleid an. »Was soll das bedeuten?«
»Wissen Sie nicht, was eine Optima Persona ist? Sie hat keine Substanz; Zeit und Entfernung bedeuten ihr nichts. Sie kann sehen und hören, kann Sie belauschen… oder kann glatt durch Ihren Körper hindurchgehen! Und zwei Tage später fallen Sie tot um, ohne daß irgendein Merkmal an Ihnen zu sehen wäre.«
Laura seufzte; für einen Augenblick hatte Carlotta sie erschreckt. Illegale Technik konnte sie verstehen, aber für mystischen Unsinn hatte sie nie viel übrig gehabt. David und der polnische Emigrant gingen einen Computerausdruck durch, ganz verständnisinniges Lächeln. »Glaubt Andrej dies alles?«
Carlotta hob die Schultern, ihr Gesichtsausdruck wurde verschlossen, wieder distanziert. »Andrej ist ein Politischer. Wir haben hier in Grenada alle Arten… Aber am Ende läuft es alles auf eines hinaus.«
»Vielleicht… wenn Sie Angst vor Hokuspokus haben.«
Carlotta schenkte ihr einen Blick frommen Bedauerns.
Zum Mittagessen waren sie Tischgäste des Kapitäns. Er war der dickbäuchige Typ mit den sechs vergoldeten Kugelschreibern. Sein Name war Blaize. Neunzehn weitere Offiziere oder Kommissare versammelten sich mit ihm in dem höhlenartigen Speisesaal des Supertankers, der mit Kronleuchtern und Eichenvertäfelung prunkte. Sie speisten von altem, goldumrandetem Porzellan mit dem Firmenzeichen der P & O- Schiffahrtslinie und wurden von jugendlichen Kellnern in Uniform bedient, die große Stahlterrinen schleppten. Sie aßen Scop in verschiedenen phantasievollen Erscheinungsformen. Als Suppe, als falsche Hühnerbrust mit Muskatnuß, kleine Frikasseerollen mit Zahnstochern darin.
Eric King wartete das Ende der Mahlzeit nicht ab. Er verabschiedete sich und überließ die Leitung wieder Mrs. Rodriguez.
»Wir haben unsere Kapazitätsgrenze keineswegs erreicht«, verkündete Kapitän Blaize in karibischem Englisch mit vielen verschluckten Silben, »aber mit jedem Monat kommen wir nach und nach den Produktionsquoten näher. Dadurch verringern wir die Belastung des produktiven Ackerbodens, verhüten seine Erosion und entschärfen die Ernährungsprobleme, die sich aus der Zunahme der Bevölkerung ergeben. Sie verstehen, Mr. Webster…« Blaizes Stimme ging in einen singenden Tonfall über, der seltsame Wellen lebloser Langeweile durch Lauras Gehirn sandte. »Stellen Sie sich vor, Mr. Webster, was eine Flotte von Schiffen wie dieses für den schlimmen Zustand tun könnte, in dem sich Mutter Afrika befindet.«
»Ja, natürlich, die Implikationen liegen auf der Hand«, sagte David. Er verzehrte sein Scop mit sichtlichem Appetit.
Während des Essens wurde leichte Hintergrundmusik gespielt. Laura lauschte mit halbem Ohr. Irgendein schmalzig glatter Sänger aus Großväterzeiten mit sentimental bedeckter Stimme, begleitet von sirupsüßen Streichern und jazzigen Saxophoneinlagen… (›something, something for you, dear… buh buh buuuh…‹) Sie konnte den Sänger beinahe identifizieren… aus alten Filmen. Crosby, der war es, ja: Bing Crosby.
Aber nun drangen digitalisierende Effekte in die alte Melodie ein, und Schreckliches geschah. Crosbys Kehle schien plötzlich von einer Stimmbänderdehnung befallen. Sein weicher Ton kratzte wie Kandiszucker - arruuuh,
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