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Inseln im Wind

Inseln im Wind

Titel: Inseln im Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Santiago
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hatte wie eine Bewusstlose geschlafen, röchelnd und mit offenem Mund, betäubt vom Laudanum. Sie war nicht zu sich gekommen, als er sich über sie gebeugt und sie angesprochen hatte, nicht einmal dann, als er sie versuchshalber an der Schulter gerüttelt hatte. Er hatte sich nicht lange mit ihr aufhalten müssen.
    Nachdem er das Kind weggebracht hatte, trieb er die beiden Braunen zur Eile an. Die Sonne vollendete bereits ihren Tagesbogen, als das Fuhrwerk Rainbow Falls erreichte. Der neue Aufseher hatte die Schuldknechte gehörig zur Arbeit angetrieben, sie waren gut vorangekommen. In den neu errichteten Lagerschuppen häufte sich das frisch geschlagene Rohr, das er einmal am Tag zu Suttons Mühle karren ließ. Harold befahl Rose, die Baracken zu säubern. Nur weil sie alt war und für die Feldarbeit nicht taugte, sollte sie nicht glauben, dass sie die Hände in den Schoß legen konnte. Paddy beauftragte er mit dem Abschirren und Tränken der Pferde. Er selbst gönnte sich ebenfalls keine Ruhe. Ein paar Bissen Brot im Stehen, einen Becher Quellwasser. Innerlich war er völlig ruhig. Er wusste genau, was als Nächstes zu tun war. William Noringham hatte ihm den Weg vorgezeichnet. Er ließ Paddy den Apfelschimmel holen.
    » Ich reite zurück nach Bridgetown«, log er. » Die jungen Damen müssen befreit und Mistress Dunmore versorgt werden. Ihr bleibt heute Nacht hier.«
    Rose und Paddy machten lange Gesichter, doch ebenso wie die übrigen Hausdiener, die ihre angenehme Arbeit in Dunmore Hill mit der Schufterei auf der Plantage hatten tauschen müssen, hatten sie keine andere Wahl, als seinen Befehlen zu folgen.
    Harold vergewisserte sich, dass seine Pistole geladen, der Pulverbeutel frisch gefüllt und der Patronengurt ausreichend bestückt war, dann schwang er sich in den Sattel und ritt davon.
    Schon während der Fahrt nach Rainbow Falls war ihm aufgefallen, dass das Trommeln wieder angefangen hatte. Bereits am Vorabend hatten die Schwarzen mehr getrommelt als in den vergangenen Wochen, es war fast, als hätte sich die Aufregung über die englische Flotte bis zum letzten Winkel der Insel herumgesprochen, sodass überall mehr Unruhe herrschte als sonst.
    Als er sich Summer Hill näherte, lauschte er wachsam in alle Richtungen. Zuweilen glaubte er, Geräusche zu hören, wo keine sein sollten. Ein seltsames Knacken im Gehölz, ein allzu lautes Rascheln in einem Zuckerfeld. Doch das Trommeln übertönte fast alles, es schien immer lauter zu werden und musste ganz aus der Nähe kommen. Harold näherte sich den Sklavenhütten der Noringhams. Diesmal würde er mehr Umsicht walten lassen. Davon abgesehen hatte er einen unschätzbaren Vorteil auf seiner Seite: William Noringham war nicht da. Und, was noch besser war – er hatte alle Schuldknechte mitgenommen. Harold lächelte zufrieden. Der fette Aufseher war allein nicht Manns genug, ihn daran zu hindern, sich diesen Abass vorzuknöpfen. Wenn einer wusste, wo sich Akin und die Mulattenhure versteckt hielten, dann der alte Schwarze.
    Bei den Hütten war alles ruhig. Mit ihren Strohdächern und den runden Formen wirkten sie in der Dämmerung wie bucklige kleine Hügel. Auf der Lichtung qualmten die Reste eines Feuers. Harold saß ab, zog die Pistole und schlich näher, nach allen Seiten lauschend. Es war still. Zu still … Erst jetzt merkte er, dass das Trommeln aufgehört hatte. Wann war das gewesen? Vor fünf Minuten? Viel länger konnte es nicht her sein. Er trat mit der Stiefelspitze gegen die Hütte, aus der er beim letzten Mal den Alten gezerrt hatte, doch nichts geschah. Vorsichtig zog er den aus grobem Sackleinen bestehenden Vorhang zur Seite. Es dauerte einen Moment, bis er in dem dunklen Loch Einzelheiten erkennen konnte, doch ein menschlicher Umriss war dort nicht auszumachen.
    Befremdet, aber immer noch auf der Hut, wandte er sich der nächsten primitiven Behausung zu, die ebenfalls leer war. Der Reihe nach schaute er in jede einzelne Hütte hinein, aber von den Sklaven war weit und breit keiner zu sehen. Ob sie auf irgendeine geheime Art gewusst hatten, dass er kommen würde? Doch diesen Gedanken verwarf er in dem Augenblick, als er zur Baracke des Aufsehers kam. Der dicke Kerl lag im Eingang. Jemand hatte ihm säuberlich den Wanst von oben bis unten aufgeschlitzt, sämtliche Eingeweide quollen heraus, eine bläulich rote, sich schlängelnde und widerlich stinkende Masse . Es konnte nicht lange her sein, der Mann war noch nicht richtig tot, denn als Harold ihn

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