Inseln im Wind
ein. Ihr Puls jagte, sie fing an zu zittern.
» Es ist Tradition«, flüsterte er rau, » dass ein Seemann, wenn er aus dem Hafen ausläuft, zum Abschied ein Mädchen küssen muss. Diesen Kuss, so sagt man, muss er als Andenken mit auf die Reise nehmen, das erhöht seine Chancen, eines Tages heil zurückzukehren.«
» Ich bin verlobt«, flüsterte sie.
» Ich weiß.« Er lächelte. » Keine Sorge, ich heirate Euch nicht. Ich küsse Euch nur.«
Sie war völlig außerstande, ihm auszuweichen, als er sie sacht mit beiden Armen umfing, und ebenso widerspruchslos duldete sie, dass er seinen Mund auf den ihren legte und ihre Lippen zuerst sanft, dann fordernd zu einem Kuss öffnete, der alle ihre bisherigen Vorstellungen davon sprengte. Seine Zunge stieß vor und traf auf die ihre, und nach einem Moment der Benommenheit war es, als würde ein Funke auf sie überspringen und sie in Brand stecken. Sein Mund war heiß und schmeckte nach Rauch und Salz. Nichts hinderte sie daran, diesem hitzigen Drängen, von dem sie kaum noch hätte sagen können, ob es das seine oder das ihre war, nachzugeben. Sie gab sich dem Kuss hin, erwiderte ihn mit so zügelloser Inbrunst, als hätte sie nie etwas anderes gewollt. Als seine Hände unter ihren Umhang glitten und ihre Brüste berührten, kam sie zu sich.
» Nein!« Sie stieß ihn zurück. » Das dürft Ihr nicht tun!«
Er trat sofort zurück.
» Natürlich nicht. Verzeiht mein flegelhaftes Benehmen. Ich war zu lange auf See. Da vergisst ein Mann leicht seine Manieren.«
Rückwärtsstolpernd entfernte sie sich von ihm, außer Atem und schmerzhaft erregt, weit davon entfernt, wieder einen klaren Kopf zu haben. Eilig stieg sie aufs Pferd. Duncan stand mit verschränkten Armen da, den Blick abwartend auf sie gerichtet. Sein Gesicht war ausdruckslos. Elizabeth hatte das Gefühl, noch etwas sagen zu müssen, doch ihr fiel nichts ein. » Lebt wohl«, sagte sie daher nur, während sie Pearl antrieb. Um den Weg zu erreichen, musste sie an ihm vorbeireiten. Er hielt ihren Blick mit dem seinen fest.
» Ich muss zurück aufs Schiff. Aber wenn Ihr morgen um dieselbe Zeit wiederkommt, erzähle ich Euch, was mit meinen Eltern geschah.«
Er wandte sich ab, bevor sie antworten konnte, und ging mit großen Schritten in Richtung Strand. Verstört blickte sie seiner sich entfernenden Gestalt nach.
5
N ach dem Abendessen sprach sie ihren Vater in dessen Arbeitszimmer auf Duncan Haynes an.
» Vater, du erinnerst dich doch an den Kapitän, der mir am Banqueting House das Leben rettete. Als wir beide später in der Kutsche waren, sagtest du, er sei gefährlich. Warum glaubst du das?«
James Raleigh zog seine Schnupftabaksdose heran und öffnete sie.
» Wozu willst du das wissen?«
Elizabeth hatte sich die Erklärung schon vorher zurechtgelegt.
» Na, er hat mir das Leben gerettet. Und er hat sich mir gegenüber wie ein echter Gentleman benommen.« Bis auf heute Nachmittag, fügte sie in Gedanken hinzu. » Da hätte ich schon gern gewusst, was er sich ansonsten zuschulden kommen ließ.«
Ihr Vater legte sich ein wenig Schnupftabak zurecht und zog ihn geräuschvoll in ein Nasenloch.
» Das sind alte Geschichten«, sagte er.
» Warum denkst du schlecht über ihn?«
» Du hast doch gehört, was Harold Dunmore gesagt hat. Der Mann ist ein Pirat.«
» Ein Kaperfahrer«, widersprach sie. Inzwischen hatte sie sich darüber kundig gemacht, indem sie den Schreiber ihres Vaters ausgefragt hatte, der ein ungewöhnlich kluger und belesener Mann war. Von ihm hatte sie auch die Bücher über Seereisen und fremde Länder bekommen. » Piraten rauben auf eigene Faust Schiffe aus, ohne Ansehung der Nationalität. Er aber hat im Auftrag der Krone gehandelt und nur feindliche Schiffe angegriffen.« Sie wiederholte ihre Frage: » Was hast du dem Mann vorzuwerfen? Woher kennst du ihn überhaupt?«
Ihr Vater nahm noch eine Prise Schnupftabak und tupfte sich anschließend sorgfältig die Nase mit einem feinen Seidentuch ab.
» Das alles liegt so lange zurück, dass ich mich kaum noch entsinne. Soweit ich weiß, waren seine Eltern Pächter auf einem unserer Höfe, irgendwo unten am Meer. Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, gab es irgendwann einen Streit über die Pacht, und sie zogen weg. Damals musste ich einige Pächter fortschicken. Es waren harte Zeiten … Ich konnte keine Ausnahmen machen, das wäre nicht gerecht gewesen. Was dabei genau geschah, weiß ich nicht mehr. Nur, dass es irgendeinen Unfall
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