Inselsommer
»Irre ich mich, oder siehst du gerade ein bisschen traurig aus?« Ich genoss seine warme, liebevolle Berührung und kuschelte mich einen Moment an ihn.
Seit meiner Trennung von Patrick konnte ich verstehen, dass Frauen an sich kein Problem mit dem Single-Dasein hatten, weil sie ihre Freundschaften pflegten oder ihr Job ihnen Spaß machte. Aber sie vermissten natürlich die Zärtlichkeit, wie man sie nur in einer glücklichen Beziehung erfuhr.
Ob Patrick Simona so umarmte wie mich?
»Danke, Olli, es geht mir gut. Mir geht momentan nur viel im Kopf herum, das ist alles.«
Olli nickte wissend.
»Ich habe schon von deiner Idee mit der Kinderbetreuung gehört und hoffe, es klappt. Und ich hätte übrigens große Lust, selbst mitzumischen, falls du so einen Typen wie mich gebrauchen kannst. Ich kann nämlich super Gitarre spielen, und kleine Mädels stehen total auf mich.«
»Das weiß ich«, erwiderte ich grinsend und stellte mir vor, wie Olli die Kinder um sich herum versammelte und musizierte, während die kleinen Zuschauer klatschten und mitsangen. »Aber erst einmal müssen wir das Wunder vollbringen und eine Unterkunft für dich finden, bevor es Herbst wird.«
Und eine dauerhafte für mich …
»Ach was, das wird schon.« Olli lächelte, und ich beneidete ihn um seine Zuversicht. »Wozu ist schließlich mein Traum in Erfüllung gegangen, eine Festanstellung im Café zu bekommen? Aber komm, gehen wir lieber zu Vero, bevor sie in einem Anfall von Kreativität noch unseren Speiseplan für heute durcheinanderbringt.«
Als ich am frühen Abend in den Pavillon zurückging, um mich umzuziehen und frisch zu machen, entdeckte ich zwischen der Post einen Brief. Mein Herz begann wie wild zu klopfen, als ich sah, dass er von Patrick stammte. Ich hielt den Umschlag eine ganze Weile in den Händen und überlegte, ob ich ihn aufmachen sollte.
Eine innere Stimme warnte mich, ihn vor der Veranstaltung zu lesen, sonst verdarb ich mir womöglich den Abend.
Doch andererseits hätte ich vermutlich keine ruhige Minute gehabt.
Also öffnete ich mit zitternden Händen den Umschlag.
Liebe Paula,
ich weiß nicht, ob du diesen Brief überhaupt liest, aber ich hoffe es sehr.
Nachdem du so überstürzt das Restaurant verlassen hattest, habe ich unzählige Male bei dir angerufen, doch leider ohne Erfolg. Natürlich war mir schon vorher klar, dass es nie eine wirklich gute Möglichkeit gegeben hätte, dir von Benjamin zu erzählen, von daher bin ich dir auch nicht böse, dass du gegangen bist. Vermutlich hätte ich in einer ähnlichen Situation dasselbe getan.
Ich schreibe dir heute, weil Benjamin mich gefragt hat, ob er eine Weile bei mir leben kann. Er hat sich mit seiner Mutter zerstritten, weil er es ihr übelnimmt, dass sie ihm all die Jahre verschwiegen hat, wer sein Vater ist.
Vater … dieses Wort klingt so seltsam und gleichzeitig so falsch, wenn ich es aufschreibe. Es fühlt sich an wie ein Kleidungsstück, das man sich lange gewünscht hat – das jedoch wider Erwarten nicht zu einem passt. Bitte versteh mich nicht falsch: Benny ist ein wirklich toller Junge, und ich betrachte es als Geschenk, dass er so unverhofft in mein Leben getreten ist. Doch es ist so seltsam, dass er nicht unser gemeinsames Kind ist. Nun stehe ich plötzlich vor einer so großen Entscheidung, die ich früher nur mit dir gemeinsam getroffen hätte. Am schlimmsten ist, dass du Benny wahrscheinlich ebenso sehr ins Herz schließen würdest wie ich – aber ich weiß, das ist unmöglich.
Glaub mir, ich habe die Wochen seit deinem Auszug immer und immer wieder darüber nachgedacht, was falsch zwischen uns gelaufen ist. Dass dieses Intermezzo mit Vincent nur Ausdruck für etwas anderes war – das ist mir klargeworden, als ich endlich meine verletzte männliche Eitelkeit ein wenig im Griff hatte. Ich habe dich ja ein paarmal mit ihm und seinem reizenden Töchterchen erlebt und kann mir gut vorstellen, dass du dir tief im Inneren gewünscht hast, die Kleine sei deine Tochter. Es tut mir unendlich leid, dass ich dir deinen sehnlichsten Wunsch nicht erfüllen konnte, obwohl ich natürlich keine »Schuld« daran trage. Aber es schmerzt mich, dass ich die Frau, die ich über alles liebe, nicht glücklich machen konnte. Und ich bedaure zutiefst, dass ich viel zu lange geglaubt habe, unsere Ehe könne auch so funktionieren. Wir hätten viel offener über unseren Kummer, über unsere Gefühle sprechen und uns nicht in die Arbeit flüchten sollen.
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