Inselsommer
Liebe,
Patrick
Das Blau der Schrift begann vor meinen Augen zu verschwimmen. Wir hatten beide einen großen Fehler gemacht. Doch nun war es zu spät. Wir waren zu weit auseinandergedriftet und konnten das Rad der Zeit nicht mehr zurückdrehen. Erschöpft legte ich mich aufs Bett und hielt den Brief an meine Brust gepresst. Ich versuchte, ruhig zu atmen, wie ich es bei Adalbert gelernt hatte. Verzweifelt bemühte ich mich, mich in Gedanken an meinen
inneren Ort
zu zaubern, an dem ich mich geborgen fühlte. Doch die Bilder, die der Brief in meinem Kopf auslöste, und die Kraft von Patricks Worten überrollten mich wie eine Lawine.
Keine Ahnung, wie lange ich so dagelegen wäre, wenn nicht Bea an der Tür geklopft hätte. Die ganze Zeit hatte ich geglaubt, ich sei nicht in der Lage, mich halbwegs normal zu verhalten, doch die bodenständige Bea holte mich wieder in die Realität zurück.
»Kann ich das anziehen?«, wollte sie wissen, kaum dass ich die Tür geöffnet hatte. »Oder findest du es albern, wenn ich heute Abend ein Kleid trage?« Ich atmete einmal tief durch und zwang mich, so zu tun, als sei nichts passiert.
»Das steht dir sehr gut und ist dem Anlass absolut angemessen«, antwortete ich. »Du solltest wirklich öfter Röcke oder Kleider anziehen, denn du hast schöne Beine.«
Bea wurde rot, was mich in meiner Vermutung bestärkte, dass sie sich für Adalbert so hübsch gemacht hatte. Als sonst so feinfühliger Mensch entging ihr, wie aufgelöst ich war, weil sie selbst mit den Gedanken ganz woanders war.
Ich freute mich für sie und riss mich zusammen. Den Brief würde ich für den heutigen Abend ad acta legen, sonst konnte ich gleich daheim bleiben.
»Kannst du mir vielleicht ebenfalls einen Tipp geben, was ich anziehen soll?«, fragte ich deshalb und führte Bea zu meinem Kleiderschrank.
»Das Rote hier«, antwortete sie, ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen. »Das sieht zu deinen dunklen Haaren bestimmt wunderschön aus, und die Leute werden sich sofort alle nach dir umdrehen. Toller Stoff übrigens. Ist das Chiffon?«
»Du vergisst, dass heute Abend ein gewisser Autor namens Marco Nardi die Hauptperson ist und nicht ich«, sagte ich, nahm aber dennoch das Kleid aus dem Schrank.
Ich hatte es ewig nicht mehr getragen.
»Ist doch egal«, winkte Bea ab, schaute dann aber auf die Uhr. »Also ich will ja nicht drängeln, meine Liebe, aber ich fürchte, du musst dich jetzt ein bisschen ranhalten. Oder soll ich schon mal vorgehen?«
»Gute Idee, sag den anderen bitte Bescheid, dass ich so schnell wie möglich nachkomme.«
»Also dann bis gleich«, rief Bea und war in Sekundenschnelle verschwunden. Nachdem ich mir das Gesicht gewaschen und mich umgezogen hatte, ging es mir bereits etwas besser.
Die Ablenkung würde mir guttun.
Gut zwanzig Minuten später traf ich im Büchernest ein und erblickte zu meiner großen Überraschung als Erstes Sönke.
»Hey, Paula, da bist du ja endlich. Du siehst umwerfend aus«, sagte er und gab mir einen Kuss auf die Wange.
»Was machst du denn hier?«, entgegnete ich. Ich hätte nicht gedacht, dass er sich für Literatur interessierte.
»Na, wenn du schon nicht zu mir kommst, dann muss ich zu dir kommen«, antwortete Sönke grinsend. »Aber im Ernst, ich dachte, ich könnte zwei nette Dinge miteinander verbinden: dich wiederzusehen und endlich den Autor live zu erleben, dessen Bücher ich schon seit Jahren mit großer Begeisterung lese. Du wirst es zwar vielleicht nicht glauben, aber ich habe außer Fliegen und Segeln noch durchaus anderes im Kopf.«
»Stimmt, Marco Nardis Bücher sind etwas ganz Besonderes«, warf Adalbert ein, der zu uns getreten war und genau verfolgte, wie Bea jeden Gast begrüßte. Neben ihr stand Rieke, die als Einstimmung zur Lesung Aperol Sprizz servierte.
Die beiden Männer plauderten ein Weilchen, und ich ging zu Vero und Olli in die Küche, um bei den letzten Vorbereitungen zu helfen.
Wie sich herausstellte, war das nicht nötig, denn die beiden hatten nicht nur alles bestens im Griff, sondern waren ein Herz und eine Seele.
Ich hatte Vero noch nie so albern und gelöst erlebt, wie wenn sie mit Olli zusammen war.
Wenige Minuten später betrat Larissa die Bühne und hielt ihre Laudatio auf Marco Nardi. Sie gab seinen Werdegang wieder, lobte sein Sprachgefühl und fasste zu guter Letzt kurz den Inhalt seines neuen Romans
Halbzeit
zusammen. Dann führte Bea den gutaussehenden Italiener auf die Bühne, wo er Larissa galant die
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