Inselsommer
plauderten ungezwungen. Bea war eine schier unerschöpfliche Quelle an Informationen und Tipps, die in keinem Reiseführer zu finden waren.
»Heute Abend haben wir übrigens eine Lesung im Büchernest«, sagte sie. »Vielleicht hast du ja Lust, mit deiner Freundin zu kommen. Wir erwarten eine Hamburger Autorin, die soeben ihren ersten Roman veröffentlich hat. Er spielt auf Sylt. Lissy hat das Leseexemplar vom Verlag bekommen, und wir haben uns beide sofort in das Buch verliebt. Um halb acht geht es los.«
»Ja, warum nicht. Da Doro ebenfalls ein Bücherwurm ist und gerade dabei ist, ein echter Sylt-Fan zu werden, freut sie sich bestimmt. Kann ich euch helfen?«
Bea schien zu überlegen.
»An sich ist alles organisiert. Die Bücher sind gestern eingetroffen, die Lokalpresse ist informiert, die Plakate hängen. Vero steht bestimmt schon seit sechs in der Küche und bereitet Häppchen vor, die wir nach der Lesung servieren. Ich hole die Dame am späten Nachmittag vom Zug ab. Soweit ich weiß, ist sie ziemlich nervös, weil es ihre erste Lesung ist. Aber das bekommen wir in den Griff. Notfalls hole ich Adalbert, der ihr Rescue-Tropfen verabreicht und irgendein Mantra spricht.«
Ich dachte an all die Künstler, die kurz vor der Vernissage häufig die Nerven verloren und abwechselnd von Jule und mir beruhigt werden mussten, bevor sie sich der Öffentlichkeit präsentierten und fotografiert oder interviewt wurden.
»Rein zufällig bin ich eine echte Expertin darin, nervöse Seelen zu besänftigen. In meinem Beruf habe ich andauernd mit Lampenfieber aller Art zu tun. Wenn du willst, komme ich mit zum Bahnhof und betreue die Autorin. Wie heißt sie denn?«
Bea strahlte.
»Corinna Hartmann. Sie ist achtundzwanzig, studierte Germanistin und hatte bislang kleinere Jobs beim Fernsehen und bei Magazinen.
Trauminsel
ist wie gesagt ihr Romandebüt, und der Verlag erwartet sich viel davon. Sie ist so ängstlich, weil sie weiß, wie kritisch Insulaner sind, wenn es um die Beschreibung ihrer Insel geht. Da muss jedes noch so kleine Detail stimmen.«
»Verstehe. Also, dann holen wir Frau Hartmann zusammen ab. Wenn sie wirklich so ein Nervenbündel ist, sollten wir vor der Lesung eine Mikrofonprobe machen, den genauen Ablaufplan mit ihr durchsprechen, und ihr zeigen, wie viel Mühe ihr euch mit den Vorbereitungen gemacht habt. Meiner Erfahrung nach funktioniert das am besten. Und wenn die Nerven immer noch flattern, kann Adalbert mit seinem Notfallköfferchen anrücken, oder ich gebe ihr einen Fingerhut voll Sekt. Nicht mehr, denn sonst geht das Ganze erfahrungsgemäß nach hinten los.«
»Ja, das müsste klappen! Ich danke dir sehr für deine Unterstützung.« Strahlend stand Bea auf. »So, nun muss ich aber los. Larissa erwartet wieder Besuch von einem Verlagsvertreter, und ich will Rieke und ihr ein bisschen unter die Arme greifen. Unten steht ein Korb mit frischen Brötchen, und ich habe vorhin noch Ziegenkäse vom Käselädchen geholt. Vielleicht hast du ja Appetit darauf.«
Kaum war Bea gegangen, rief ich Doro an, um ihr von der Lesung zu erzählen. Doch anstatt sich zu freuen, klang sie eher ein wenig verhalten.
»Wärst du mir sehr böse, wenn ich heute Abend passe?«, fragte sie. Ich stutzte.
»Nein, natürlich nicht. Warum auch? Allerdings habe ich gerade Bea versprochen, mich um die Autorin zu kümmern. Oder hätte ich das vorher mit dir absprechen sollen?«
»Ach, quatsch, natürlich nicht!«, protestierte Doro, die sich so anhörte, als sei sie gerade erst aufgewacht und würde sich im Bett rekeln. »Ich habe dich ja auch nicht gefragt, ob es für dich in Ordnung ist, wenn ich den heutigen Abend mit Mats verbringe.«
Mit Mats?!?
»Wir haben gestern Handynummern ausgetauscht, als du kurz weg warst, um dir die Strandsauna anzuschauen. Vor zehn Minuten hat er angerufen und mich zum Abendessen in der Sansibar eingeladen. Wie findest du das?«
Ich brauchte einen Moment, um diese Information zu verdauen.
Vor allem wunderte ich mich, dass es Mats Tönnis gelungen war, einen der heiß begehrten Tische in dem wohl berühmtesten Strandrestaurant der Welt zu ergattern. Soweit ich wusste, musste man monatelang im Voraus reservieren.
Und weshalb hatte Doro seine Einladung sofort angenommen? Wollte sie sich damit für die Lieblosigkeiten ihres Mannes revanchieren?
Oder sehnte sie sich einfach nach Bestätigung, was ich wiederum gut verstehen konnte.
»Ehrlich gesagt bin ich gerade platt. Aber ich freue mich
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