Inselsommer
Insel zartrosa, während sich allmählich die Nacht wie eine dunkle, weiche Decke über die Insel legte.
»Hörst du mir eigentlich zu, Paula?«
Ich zuckte schuldbewusst zusammen.
»Tut mir leid, ich fürchte, ich bin noch nicht richtig angekommen. Lass uns zahlen und nach Hause fahren. Es wird bestimmt besser, sobald ich meinen Koffer ausgepackt, ein Bad genommen und mich zusammen mit dir aufs Sofa gekuschelt habe.« Der letzte Teil des Satzes entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber ich hatte das Gefühl, es Patrick schuldig zu sein. Er konnte ja nichts dafür, dass ich lieber zurück auf die Insel geflüchtet wäre, als morgen das erste Mal wieder Vincent zu begegnen. Und er konnte auch nichts dafür, dass ich mich in meinem Hamburger Leben plötzlich fühlte, als würde ich ein Kleid tragen, aus dem ich herausgewachsen war.
»Komisches Gefühl, wieder hier zu sein«, sagte ich, als Patrick die Tür zu unserer großen, schicken Altbauwohnung öffnete. Beas Kapitänshaus mit den kleinen Zimmern wirkte dagegen wie eine Puppenstube. Ich wuchtete den Koffer auf die Tagesdecke des breiten, gemütlichen Doppelbetts und öffnete das Schnappschloss. Dann schnupperte ich an den Kleidungsstücken, bevor ich sie in den Wäschekorb legte. Sie dufteten nach salziger Meeresluft und waren ein wenig klamm.
Patrick kramte nebenan geschäftig in seinem Arbeitszimmer herum, schließlich war auch er nur kurz zu Hause gewesen, bevor er mich vom Bahnhof abgeholt hatte. Vermutlich schaute er gerade die Post durch und die Zeitungen, die er abonniert hatte: Die
Zeit,
den
Spiegel,
das
Hamburger Abendblatt
und die
FAZ
.
Wo waren die Zeiten, als er mit Begeisterung die
Titanic
und die
TAZ
verschlungen hatte? Oder
MAD
-Hefte?
Nachdem ich alles verräumt hatte, ließ ich mir im Badezimmer ein Schaumbad ein. Als Hintergrundmusik wählte ich Opernarien, die ich auf den iPod geladen hatte. Kaum hatte ich mich ausgezogen, kam Patrick ins Bad. Ein wenig verlegen ließ ich mich in die Wanne gleiten. Patrick setzte sich zu mir auf den Rand und spielte mit dem Schaum, der meinen Körper bedeckte:
»Schade, ich dachte, ich bekäme dich endlich einmal wieder nackt zu sehen«, sagte er mit einem Augenzwinkern, das sofort ein schlechtes Gewissen bei mir auslöste. »Magst du etwas zu trinken?« Ich entschied mich für ein Glas Sherry, das hoffentlich meine angespannten Nerven beruhigte.
Patrick kam mit zwei Gläsern zurück.
»Wenn du magst, könnte ich mich zu dir in die Wanne legen, breit genug ist sie ja.«
»Ein andermal, ja?«, murmelte ich beklommen und war froh, dass er meinen Wunsch respektierte und das Bad verließ.
Ich wollte einfach nur allein sein.
19 . Kapitel
A m nächsten Morgen kitzelte der Duft von frisch gebrühtem Kaffee verführerisch meine Nase. Gleich würde ich die Augen aufschlagen und in das freundliche Gesicht von Bea blicken …
»Aufwachen. Es ist schon beinahe acht Uhr. Zeit, in die Galerie zu gehen.«
Nanu?
Genervt und müde rollte ich mich auf den Bauch und vergrub meinen Kopf unter dem Kissen, wie früher als kleines Mädchen, wenn ich keine Lust hatte, zur Schule zu gehen.
Behutsam nahm Patrick mir das Kissen vom Kopf.
»Vielleicht solltest du heute noch zu Hause bleiben. Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es jetzt doch auch nicht an.« Immer noch verschlafen, drehte ich mich um, nahm das Kissen und stopfte es mir in den Rücken. Patrick sah munter aus und duftete angenehm nach einem Aftershave, das ich nicht kannte.
»Bereit für deinen Morning-Booster?«, fragte er lächelnd und kam wenig später mit einem Tablett zurück.
Mit halb geschlossenen Augenlidern genoss ich den heißen Kaffee.
»Ich muss jetzt los, wir haben in einer halben Stunde ein Meeting. Ruf nachher mal an. Wir können ja heute Abend weiterreden, du warst gestern so abwesend.« Nach einem flüchtigen Kuss war er weg, und ich musste mich allein mit meinen Gewissensbissen herumschlagen.
Ich kannte Patrick gut genug, um zu wissen, dass sich in seine Worte ein leiser Vorwurf gemischt hatte, obwohl er sich bemühte, verständnisvoll zu sein. Gedankenverloren trank ich meinen Kaffee aus.
Sollte ich mir heute wirklich freinehmen und mich mit Doro treffen, um mich vor dem Zusammentreffen mit Vincent zu drücken?
Andererseits verschob sich das Problem dann nur auf Freitag.
Nach weiteren zehn Minuten schickte ich Doro und Helen eine SMS und schlug ein Treffen für den morgigen Abend vor. Ich konnte es kaum erwarten, die Ereignisse
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