Inselsommer
willkommen auf Sylt!« Sie öffnete den Kofferraum, und ich legte meinen Koffer hinein.
»Bei so einer Präsentation würde ich gern einmal Mäuschen spielen«, sagte ich, während ich mich anschnallte. »Muss doch himmlisch sein, die Neuerscheinungen vor allen anderen anschauen zu dürfen. Man kann sich dann schon monatelang im Voraus auf die neuen Bücher freuen.«
Bea startete den Motor.
»Sie lesen also gern?«, stellte sie fest und winkte einer jungen Frau zu, die die Ampel überquerte. »Das ist übrigens Mia, eine Mitarbeiterin aus unserer Kita.«
»Hier kennt bestimmt jeder jeden«, sagte ich mehr zu mir selbst und dachte an Adalbert Vrohne und den netten, gemeinsamen Nachmittag.
Ob ich ihn wohl wiedersehen würde?
Wir hatten vereinbart, das dem Zufall zu überlassen.
»Das kann man wohl sagen«, lachte Bea und bog auf den Stellplatz vor einem hübschen Friesenhaus ein, das dem auf der Postkarte ähnelte, es war nur noch bezaubernder. Vor der Tür stand eine weiße Bank, daneben und darauf Blumentöpfe. An der Wand darüber hing ein buntbemaltes Vogelhäuschen. »Aber ich kann Ihnen versichern, dass das nicht immer nur angenehm ist. Es gibt so manches, von dem man nicht möchte, dass andere ihr neugieriges Näschen hineinstecken. Das Gespräch zum Thema Lieblingsbücher müssen wir übrigens vertagen. Es sei denn, wir wollen den Rest des Tages im Auto verbringen.«
Ich nahm meinen Koffer und folgte Bea neugierig. Als ich die Fußmatte mit dem rot-weiß gestreiften Leuchtturm sah, blieb ich abrupt stehen, weil ich das Gefühl hatte, auf ein Bild zu treten.
»Keine Sorge, die können Sie ruhig benutzen.« Bea lachte. »Und ganz ehrlich: Ich bin nicht traurig, wenn das kitschige Ding da endlich so verschlissen ist, dass ich es guten Gewissens wegwerfen kann. Es war nämlich das Geschenk eines Stammkunden, den ich lieber mit meiner ehrlichen Meinung verschonen wollte.«
Schmunzelnd folgte ich ihr in das Innere des Kapitänshauses. Auf der Kommode im Flur standen viele Fotos in silbernen oder handgetöpferten Rahmen, auf einigen war ein Hund zu sehen.
»Das ist Timo, unser Berner Sennenhund. Leider ist er letztes Jahr gestorben«, erklärte Bea, als sie bemerkte, wie ich einen Augenblick innehielt.
»Das tut mir leid«, murmelte ich und folgte ihr über die gemütlich knarzende Holztreppe in den ersten Stock.
»Mir auch, denn ich vermisse den Kerl schon sehr. Aber das ist nun mal der Lauf der Dinge. Man kann es nicht ändern, so schmerzhaft es auch sein mag«, entgegnete Bea. Ich wagte gar nicht erst, nach dem sympathisch aussehenden Mann zu fragen, dessen Porträt im Flur des oberen Stockwerks hing.
Hatte Nele Sievers nicht erwähnt, dass Bea Hansen seit längerem Witwe war?
Eine Kapitänswitwe, um genau zu sein.
Oben angekommen, öffnete Bea die Tür zu einem Zimmer, in das ich mich augenblicklich verliebte, weil es so heimelig aussah.
»Und dies ist ab sofort Ihr Reich. Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause, und sagen Sie mir einfach, wenn Sie irgendetwas brauchen. Sollte Ihnen die Decke zu dünn sein, hätte ich auch noch eine aus Daunen, unter der Sie sich garantiert fühlen wie Frau Holle.«
Nachdem sie die Tagesdecke ein wenig zurechtgezupft hatte, schloss Bea das weiße Sprossenfenster, von dem aus man einen Blick in den Garten hatte. Ich schaute mich um.
Die hellblau-weiß gestreifte Tapete harmonierte wunderbar mit den dunkelblauen Leinenvorhängen und dem beigefarbenen Sisalteppichboden. Irgendwie duftete es nach … Südfrankreich. Ich schnupperte und inhalierte den vertrauten Duft, der mich an einen der schönsten Urlaube mit Patrick erinnerte.
»Was Sie da riechen, ist die Sylter Seife Honig-Lavendel, die in einer kleinen Manufaktur in Morsum hergestellt wird. Ich habe sie im ganzen Haus verteilt, weil sie so wunderbar duftet. Im Wohnzimmer liegt gerade die
Heckenrose
in einer Schale.«
Ich dachte sofort, dass die Seife ein wunderbares Mitbringsel für Helen und Doro wäre, die beide eine Schwäche für solchen
Mädchenkram
hatten.
»Das Badezimmer ist gleich nebenan, die Wohnküche und das Esszimmer unten«, fuhr Bea fort. »Ich schlafe links von Ihnen. Wenn Sie mögen, können wir gleich auf einen Tee rüber ins Büchernest gehen. Oder wollen Sie sich erst einmal hinlegen? Die Fahrt von Hamburg hierher dauert ja immerhin drei Stunden. Sie sind heute Morgen bestimmt sehr früh aufgestanden.«
Wie es schien, begann unsere gemeinsame Zeit mit einer Lüge.
So vieles in meinem Leben
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