Inselwaechter
Kanzlei Grohm & Sebald.«
Das hatte Claire Wilms aus ihrer schwindelnden Angst zurück in eine zwar triste Umgebung, aber doch in die Gegenwart geholt. Mit einem Mal war die Flauheit verschwunden. Die gegen den Himmel leuchtenden Farben des Mangturms erschienen ihr im Geiste, das Getön der Möwen und das Zischen des Wassers, wie es durch die Schiffspropeller entstand, wenn die großen Ausflugsdampfer den Hafen verließen. Sie traute ihrer Stimme noch nicht ganz und verzichtete darauf, die Frage zu beantworten. Stattdessen wartete sie ab, bis Schielin saß, und bestätigte mit einer kleinen Geste ihrer Hand und fast unmerklichem Senken des Kopfes.
»War es schwierig für Sie dort Fuß zu fassen?«
Sie hatte keine Vorstellung davon, wo diese Frage hinführen sollte und sagte: »Nein.«
»Sie sind also gut zurechtgekommen?«
»Ja. Das sagte ich ja bereits Ihrer Kollegin.«
Robert Funk schaltete sich mit einem unangenehm zweideutigen Ton ein. »Wir kennen Ihre bisherigen Aussagen.«
Claire Wilms war von der latenten Aggressivität irritiert. Sie unterließ es darauf zu reagieren und wartete auf Fragen. Das sparte Kraft.
Schielin fragte: »Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Frau Mahler beschreiben?«
»Wie ich schon sagte ….«
Robert Funk unterbrach sie. »Beantworten Sie nur unsere Fragen. Vielleicht verstehen Sie es besser, wenn wir anders formulieren: Von welchen Empfindungen war Ihr Verhältnis zu Agnes Mahler geprägt?«
»Kollegialität«, lautete die zurückhaltende Antwort.
»Es gibt ein anderes Wort, das auch mit dem Buchstaben K beginnt: Konkurrenz«, sagte Schielin. »War es nicht vielleicht auch Konkurrenz? Empfanden Sie Agnes Mahler nicht als Konkurrentin?«
Claire Wilms Augen wurden eng und sie senkte ihren Kopf. »Konkurrentin um was, um wen? Werden Sie bitte konkreter.«
»Als Konkurrentin Ihre Rolle in der Kanzlei betreffend, vielleicht auch Konkurrentin im Kampf um Grohms Gunst, Zuneigung – Liebe.«
»Na, also das Letztere können Sie getrost vergessen …«
»Ersteres also nicht«, kam es sofort von Funk.
»Nein … ja … ich meine damit …«
»… sie war also Konkurrentin für Sie!«
»Nein! Das war Agnes Mahler für mich nicht. Konnte sie auch gar nicht sein, weil wir in völlig unterschiedlichen, klar voneinander abgegrenzten Bereichen tätig waren. Was Sie hier versuchen zu konstruieren, ist doch völlig verrückt!«
»Finden Sie!?«, warf Funk ein, »es erscheint mir gar nicht so unwahrscheinlich. Sie sind sehr ehrgeizig.«
Claire Wilms schüttelte den Kopf und verzog ihren Mund zu einem trostlosen Lächeln. »Ehrgeizig … also das können Sie mir schon glauben, Agnes Mahler war niemals eine Konkurrentin für mich. Weder was meine berufliche Stellung anging noch im Verhältnis zu Grohm.«
Schielin ließ seinen Oberkörper nach vorne fallen und bremste mit den Armen ab, die auf die Tischplatte fielen. »Wieso – wieso sollten wir einer Lügnerin glauben!?« Seine Augen trafen auf die von Claire Wilms, deren Lippen sich stumm bewegten, als wiederholte sie die letzten Worte. Sie schluckte. »Lügnerin?«
»Ja. Lügnerin. Es gibt ja unterschiedliche Begriffe. Flunkern, schwindeln, entstellen, die Wahrheit aktiv verschweigen, lügen. Ich wähle das gute alte Wort lügen.«
Robert Funk fuhr dazwischen: »Wo haben Sie die Nacht von Freitag auf Samstag verbracht?«
Sie blickte kurz zur Seite. »Freitag auf Samstag?«
»Ja.«
»Im Hotel natürlich.«
»Ach, natürlich. In welchem Hotel denn?«
Wieder hob sich ihr Kehlkopf. Sie dachte nach. Die beiden Polizisten schwiegen, was die Zeit dichter machte und den Druck größer. Schweigen kann furchtbar sein für Menschen, die es nicht aushalten. Claire Wilms hielt es aus. Sie wusste inzwischen auf was das Gespräch hinauslief.
»In dem Hotel, in welchem ich mein Zimmer habe.«
»Sie sprechen von jenem Zimmer, in welchem Sie nicht die Nacht verbracht haben«, ergänzte Schielin.
Claire Wilms sah ihn ausdruckslos an.
»Wo waren Sie in dieser Nacht? Wo waren Sie in der Zeit zwischen fünf Uhr morgens und sieben Uhr?«
Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie überlegte, ob es Sinn machen konnte der Behauptung zu widersprechen und kam schnell zu dem Ergebnis, es sein zu lassen.
Robert Funkt meinte: »Eine Affäre vielleicht? Dann hätten Sie ja jemanden, der Ihr Alibi bestätigen könnte.«
Sie klang gefasst. »Ich befürchte, ich habe kein verwertbares Alibi für diese Nacht, denn die Person, die mir dies geben könnte,
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