Inselzauber
ich, während ich als Einstimmung auf Mailand einen Campari Orange trinke und die Vögel beobachte, die am Himmel ihre Kreise ziehen. »Und natürlich die gute Sylter Luft.«
Marco nickt und nippt an seinem Gin Tonic. »Tja, und so etwas passiert dir in Italien auch nicht«, sagt er grinsend, während ich etwas auf meiner Schulter spüre.
Irritiert sehe ich nach rechts und muss lachen. Auf meiner dünnen Strickjacke befindet sich ein Stück Kuchen – offensichtlich Rhabarber –, das eine Möwe im Flug hat fallen lassen.
»Komm her, ich wische das mal eben weg«, sagt Marco und beugt sich zu mir herüber, seine Serviette in der Hand.
Sein Eau de Toilette steigt mir in die Nase, und für den Bruchteil einer Sekunde habe ich die Bilder von unserem romantischen Tangotanz im Kopf. Verwirrt und verlegen zugleich nehme ich einen Schluck Campari, während Marco meine Jacke säubert.
»Ich weiß übrigens auch schon, wo ich abends mit dir essen gehen werde«, sagt Marco freudestrahlend und beschreibt mir in aller Ausführlichkeit sein Lieblingsrestaurant. »Am besten sind dort die Gnocchi ai noci, die Nusssauce ist ein Traum. Dazu trinken wir einen gut gekühlten Rosé. Du wirst sehen, Mailand wird dir gefallen!«
Dem kann ich nur zustimmen und lasse meine Gedanken zum wiederholten Male nach Italien wandern. Trotz meiner Träumereien behalte ich sicherheitshalber den Himmel und seine geflügelten Bewohner im Blick. Wer weiß, was womöglich als Nächstes auf meiner Schulter landet?
Am nächsten Tag habe ich eine unangenehme Aufgabe zu bewältigen: Ich muss erneut Stefan anrufen, weil das Geld noch nicht auf meinem Konto eingegangen ist. Trotz mehrfacher Versuche und diverser Auseinandersetzungen mit der Sprechstundenhilfe gelingt es mir nicht, meinen Ex-Freund an den Apparat zu bekommen. Privat will ich ihn nicht anrufen, um nicht an Melanie zu geraten, bleibt also nur noch der Versuch, ihn per Handy zu erwischen. Doch auch der schlägt fehl.
Bei Bea und Nele ist die Stimmung mittlerweile ebenfalls etwas pessimistisch, weil es schwieriger ist als gedacht, einen Termin im Rathaus zu bekommen. Offensichtlich hat der Bürgermeister während der Saison alle Hände voll zu tun, und so bleibt den beiden nichts weiter übrig, als abzuwarten.
Geduld ist nun gar nicht Neles Stärke, wie ich bei der Gelegenheit feststelle. Ständig schwankt sie zwischen Optimismus und totaler Verzweiflung, und das nicht nur tageweise, sondern nahezu minütlich, was auf Dauer etwas anstrengend für mich ist.
Als sie eines Abends im Möwennest beinahe zu hyperventilieren beginnt, weil sie sich unter dem Einfluss einer selbst zubereiteten (und viel zu starken!) Caipirinha furchtbar in Rage redet, muss ich die ganze Palette von Entspannungsübungen anwenden, die mir spontan einfallen, um sie zu beruhigen. Schließlich sitzen wir einander gegenüber, eine Hand auf den Brustkorb gelegt (Thymusdrüse!), die andere oberhalb des Magens, um den Solarplexus zu schützen. In ihm sitzt nämlich – das weiß ich von Bea – das emotionale Zentrum, und das gilt es momentan bei Nele zu stärken. Das Einzige, was dann tatsächlich hilft, als wir bereits bei der dritten Übung sind, dem »Freiklopfen von Meridianen«, und ich mich fast wie ein Guru fühle, ist schlicht und einfach eine zweite Caipirinha (diesmal von mir zubereitet). Der Cocktail legt Nele umgehend lahm, so dass ich sie unter Aufbietung all meiner Kräfte in ihre Wohnung begleiten und ins Bett stecken kann.
Bea hingegen ist Gott sei Dank wesentlich gelassener und vertreibt sich die Zeit damit, potenzielle Kandidaten für den Job in der Bücherkoje ins Visier zu nehmen, was sich allerdings als nicht besonders einfach erweist. Es gibt zwar durchaus Interessenten, doch die suchen in erster Linie eine Vollzeitstelle und wollen nicht als Aushilfe arbeiten.
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Sylter Tagesspiegel
auf, in der du nicht nach einer Buchhändlerin suchst, sondern nach jemandem, der Erfahrung im Umgang mit Kunden hat und gern liest«, schlage ich vor, als ich abends zusammen mit Bea und Vero beim Essen sitze. Heute habe ich ausnahmsweise mal gekocht – es gibt Linguine mit Spitzen von grünem Spargel in Limonensauce und als Dessert Erdbeeren mit Zucker und Zitrone.
»Kompliment, das Essen ist absolut köstlich. Damit kannst du selbst einen echten Italiener beeindrucken«, lobt Vero fachmännisch meine Kochkünste.
Ich bin ein wenig stolz auf mich. »Freut mich, wenn es euch schmeckt«,
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