Inselzauber
Schweiß und Verbissenheit in Fitness-Studios modellierten Körpern überhaupt nichts abgewinnen kann. Für mich zeichnet sich ein attraktiver Mann durch kleine Fehler aus, Perfektion ist nicht das, was mich interessiert. Und ich liebe es, wenn jemand genussfreudig ist, gerne isst und am besten auch noch kochen kann.
»Kannst du eigentlich kochen?«, entfährt mir auf einmal eine Frage, die mit dem vorausgegangenen Gespräch nichts, aber auch rein gar nichts zu tun hat. Vielleicht sollte ich besser keinen Glühwein mehr trinken!
»Ja, ich glaube schon, zumindest behaupten das die Gäste, die ich bislang bewirtet habe. Auch Bea ist schon mal in den Genuss gekommen und war ganz zufrieden mit dem, was ich ihr vorgesetzt habe. Dabei fällt mir ein, wir haben noch gar nicht auf ihr Wohl und ihre Genesung angestoßen.«
Das holen wir an dieser Stelle nach, und ich werde für einen Moment wieder traurig.
»Und du?«, fragt er weiter.
Eigentlich habe ich keine Lust, mich über das Thema Kochen zu unterhalten, ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist, es anzuschneiden. Schnell versuche ich abzulenken und erzähle Leon von einem Roman, den ich gerade lese.
Drei Stunden später sehe ich auf die Uhr und stelle verwundert fest, wie schnell die Zeit vergangen ist und dass ich immer noch nicht friere. Von Büchern sind wir auf Filme gekommen, von Filmen auf Musik und davon auf Kunst. Leon ist ein wunderbarer Gesprächspartner, und die Tatsache, dass er für das Kulturressort arbeitet, macht ihn natürlich besonders kompetent. Unser Geschmack ist zwar nicht hundertprozentig identisch, auch kenne ich nicht alle Filme, die er gesehen, und nicht alle Bücher, die er gelesen hat, aber die Schnittmenge unserer Interessen ist doch recht groß.
Ich könnte hier noch Stunden sitzen bleiben, aber mittlerweile ist es fast Mitternacht, und ich muss morgen früh mit Timo raus. Auch Leon gähnt ein paarmal, und so packen wir die Sachen zusammen und gehen zum Auto. Der Hund trottet müde hinterher, weil wir ihn aus seinen Träumen gerissen haben, und kuschelt sich Minuten später auf der Rückbank zusammen.
Während der Fahrt schweigen wir beide und lauschen der Musik aus Leons CD -Player. Es ist Chopin, der uns in die Nacht begleitet und den ich immer noch im Ohr habe, als ich endlich im Bett liege und umgehend einschlafe. Zuvor habe ich noch die beruhigende Nachricht bekommen, dass Vero und Bea wohlbehalten in Hamburg und damit im Tropenkrankenhaus gelandet sind, wo meine Tante nun erst einmal gründlich untersucht wird. Vielleicht wird ja doch noch alles gut!
»Post für Sie«, ruft Birgit Stade und holt mich mit diesen Worten aus der hintersten Ecke der Buchhandlung hervor, wo ich gerade die Rubrik »Sylt« sortiere. Hier ist es immer chaotisch, egal, wie oft man aufräumt, weil sich hier natürlich die Touristen austoben, die unentschlossen einen Titel nach dem anderen aus dem Regal zerren, kleine Buchstapel bilden, letztlich dann doch die Buchhandlung ohne ein Sylt-Buch in der Hand verlassen, stattdessen mit dem neuesten Henning Mankell oder der neuen Donna Leon.
Meist ist ihr Interesse an der Urlaubsinsel nicht stark genug, um sich über die üblichen Restauranttipps hinaus detaillierter mit der Materie zu beschäftigen. Wen interessieren schon Sylter Sagen?, überlege ich seufzend und begebe mich dann nach vorne, um den Brief entgegenzunehmen. Als ich den Absender sehe, schlägt mein Herz einen Takt schneller, und ich hoffe sehr, dass es diesmal die positive Nachricht ist, auf die ich seit nunmehr eineinhalb Monaten warte. Dann beginne ich zu lesen:
Sehr geehrte Larissa Wagner,
wir möchten uns recht herzlich für die Zusendung des illustrierten Buchmanuskripts Ihrer Autorin Nele Sievers mit dem Titel
Das Gespenst im Wohnzimmer
bedanken. Leider passt das Buchkonzept nicht in unser Programm, so dass wir Ihnen hierfür eine Absage erteilen müssen. Die Illustrationen begeistern uns jedoch sehr, und aus diesem Grunde möchten wir anfragen, ob Frau Sievers sich vorstellen könnte, einen anderen Text für uns zu illustrieren. Wir würden sie gern persönlich kennenlernen und uns freuen, wenn sie uns bei dieser Gelegenheit ihre Mappe präsentieren könnte.
Mit herzlichen Grüßen
Renata Baumgarten
Programmleitung Sternenreiter Verlag
Ich lese den Brief zweimal durch, weil ich nicht fassen kann, was da steht. Nach zahlreichen Absagen hat endlich jemand Interesse an Neles Arbeit!
»Frau Stade, ich bin mal eben kurz im
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