Inselzauber
Nele und nippt versonnen an ihrem Glas.
»Aber du hast doch gar keine Zeit für so was«, erwidere ich und bin besorgt um Neles Arbeitsmoral. »Du kannst nicht ständig das Möwennest schließen. Für den Verlagstermin ist es natürlich nicht anders gegangen, aber auf die Dauer ist das keine Lösung«, sage ich und weiß, dass ich Nele mit meiner Strenge auf die Nerven gehe.
»Dann hilfst du mir eben«, grinst sie, und ich glaube, mich verhört zu haben. »Ich leihe dich bei der Bücherkoje aus und bezahle dich in Naturalien. Du kannst dann immer und jederzeit bei mir essen und trinken, so viel du willst. Was hältst du davon?«
Ich sehe meine Freundin an und versuche zu ergründen, was in ihr vorgeht. Ist sie wirklich so naiv, oder versucht sie nur vor ihren Problemen zu flüchten, indem sie diese mit wirren Liebesgeschichten zu vergessen versucht, die zu allem Überfluss auch noch nichts als Unglück bringen?
»Nun guck nicht so, das war ein SCHERZ «, betont Nele, und ich schöpfe Hoffnung, dass ich doch noch vernünftig mit ihr reden kann. »Natürlich weiß ich, dass ich das Café nicht ständig schließen kann. Aber über Ostern war es in Ordnung, weil da sowieso alle Welt bei Familie und Freunden feiert und die Leute lieber spazieren gehen, als bei mir etwas zu konsumieren. Außerdem habe ich mir auch mal einen Urlaub verdient, und wenn es nur die paar Tage sind«, murmelt sie traurig.
Schon tut sie mir wieder leid. »Okay, okay, ich sage ja gar nichts«, versuche ich meine Kritik zu verteidigen. »Ich helfe dir natürlich jederzeit im Möwennest, sofern Frau Stade mich entbehren kann. Schließlich will ich deinem Liebesglück nicht im Weg stehen.«
»Apropos Liebe! Wie sieht es denn da bei dir aus?« Meine Freundin nutzt die Gelegenheit, sich nach meinen amourösen Belangen zu erkundigen. »Hast du denn hier wirklich noch niemanden getroffen, der dir gefallen könnte? Was ist eigentlich aus Marco Nardi geworden, von dem du mir erzählt hast?«
Ich überlege einen Augenblick und schüttle dann den Kopf. Nein, ich habe niemanden kennengelernt, und die Begegnung mit dem Schriftsteller war zu kurz, um mich nachhaltig für ihn zu erwärmen, auch wenn ich ihn durchaus interessant und attraktiv fand. In diesem Zusammenhang fällt mir ein, dass ich sein Buch noch gar nicht zu Ende gelesen habe, obwohl es noch immer auf meinem Nachttisch liegt. Vielleicht sollte ich besser mal hineinsehen, denn in knapp zwei Wochen beginnt sein Aufenthalt als Inselschreiber. Da möchte ich dann doch lieber informiert sein, für den Fall, dass sich unsere Wege kreuzen.
Die nächsten Tage vergehen wie im Flug, denn ich muss viel arbeiten und versuche abends, Tante Bea bei Laune zu halten. Nachdem sie glücklicherweise keine Schmerzen mehr hat und nicht mehr den halben Tag unter dem Einfluss von Medikamenten verschläft, beginnt sie allmählich unruhig zu werden und für meine Begriffe auch ein wenig zickig, wie ich sie bislang überhaupt nicht kenne. Ich versuche ihr so gut es geht die Zeit zu vertreiben und ihr immer wieder eine kleine Freude zu machen.
Ich bekoche sie, besorge ihre Lieblingsschokolade, leihe Filme für sie aus oder kaufe ihr neue CD s. Doch sosehr ich mich auch bemühe – es nützt nicht viel, weil Bea im Grunde nicht nur die Arbeit in der Bücherkoje fehlt, sondern auch der Umgang mit anderen Menschen. Zwar bekommt sie immer wieder Besuch von Freunden und Nachbarn, doch hat etwa Vero zurzeit so viel auf dem Hof zu tun, dass sie sich nur selten im Kapitänshaus blicken lässt. Ich kann das absolut verstehen, schließlich war Vero auf der Reise sehr eng mit meiner Tante zusammen und während ihres Krankenhausaufenthaltes Tag und Nacht für sie da. Ich denke, dass Vero ein wenig Abstand ganz guttut.
»Lissy, kann ich mal mit dir reden?«, ertönt die Stimme meiner Tante aus der hinteren Ecke des Wohnzimmers, als ich eines Abends von einem Spaziergang mit Timo zurückkomme.
»Klar«, antworte ich, hänge meinen Mantel an die Garderobe und gehe zu Bea, die mit einem Buch auf den Knien im Sessel sitzt. Ich hole mir einen Schemel, lasse mich daraufsinken und sehe meine Tante fragend an. »Was gibt es? Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«
»Das möchte ich so nicht sagen, aber ich wollte dich fragen, ob du mit Birgit Stade gut zurechtkommst oder ob es irgendwelche Probleme gibt, von denen ich wissen sollte.«
Ich überlege kurz, habe aber keine Ahnung, worauf Bea hinauswill.
»Kann es sein, dass ihr beide euch
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