Inselzauber
wartet.
Auf einmal kommt mir Venedig wieder in den Sinn.
Vielleicht sollte ich mich mal erkundigen, wie teuer eine Woche Aufenthalt dort ist.
Da ich weder im Kapitänshaus noch in der Bücherkoje Zugriff auf einen Computer habe, beschließe ich, mir die relevanten Informationen ganz konventionell aus dem Reisebüro und nicht aus dem Internet zu holen und dafür meine Mittagspause zu nutzen. Eine halbe Stunde später sitze ich mit den Katalogen diverser Reiseanbieter auf der Terrasse der Kleinen Teestube, wo ich ein windgeschütztes Plätzchen ergattert habe.
»Darf ich mich zu Ihnen setzen, auch wenn Sie mich nicht angerufen haben?«, ertönt auf einmal eine männliche Stimme neben mir.
Ich bin für einen Moment verwirrt, weil ich in Gedanken gerade einen Cappuccino auf der Terrasse des Hotels Danieli getrunken habe. Ich blinzle in die Sonne und bin erstaunt zu sehen, dass die Stimme Marco Nardi gehört, der mich hier entdeckt hat und nun offensichtlich meine Gesellschaft sucht.
»Natürlich, setzen Sie sich. Schön, Sie zu sehen!«, antworte ich, schließe meinen Prospekt und deute auf den freien Stuhl mir gegenüber. Für einen Moment bin ich unsicher, weil ich überhaupt nicht damit gerechnet habe, mit ihm zusammenzutreffen, auch wenn mir durchaus bewusst war, dass er mittlerweile auf der Insel angekommen sein musste. »Wie geht es Ihnen?«, frage ich höflich, nachdem wir etwas zu trinken bestellt haben. »Sind Sie gut untergebracht?« Wie schon bei der Lesung bin ich auch jetzt wieder beeindruckt davon, wie attraktiv dieser Mann ist. Ich habe sogar das Gefühl, dass er noch besser aussieht als bei unserer Begegnung im Winter.
»Der Frühling steht Ihnen gut«, sagt Marco, mustert mich intensiv. Damit beantwortet er zwar meine Fragen nicht, hebt dafür jedoch meine leicht angeknackste Stimmung.
Ich bin froh, dass die Kellnerin in diesem Moment das Wasser serviert, weil ich nicht weiß, wie ich auf diese Bemerkung reagieren soll. Es ist schon eine ganze Weile her, seit ein Mann mit mir geflirtet hat.
»Was machen Sie eigentlich hier, Lissy Wagner? Ich dachte, ich sähe Sie nie wieder, nachdem Sie sich nicht bei mir gemeldet haben. Und ich wähnte Sie bereits zurück in Hamburg, oder habe ich da etwas falsch verstanden?«
Geschmeichelt davon, dass ihm meine Planung offensichtlich so gut im Gedächtnis geblieben ist, erkläre ich ihm in groben Zügen, was sich in den letzten Monaten in meinem Leben ereignet hat. Darüber verfliegt die Zeit, und ich stelle mit Bedauern fest, dass ich wieder zurück in die Bücherkoje muss, auch wenn ich es genieße, in der warmen Frühlingssonne zu sitzen und ein wenig zu plaudern.
Auch Marco findet es offensichtlich schade, dass ich los muss. »Haben Sie Lust, mal mit mir essen zu gehen?«, fragt er.
Für einen kurzen Augenblick setzt mein Herzschlag aus. NATÜRLICH habe ich Lust, und seine Einladung ist genau DIE Abwechslung, die ich jetzt gut gebrauchen kann, denn so schnell wird sicher nichts aus meinen Reiseplänen. Wer weiß? Vielleicht hat dieser Mann ein paar gute Reisetipps für mich?
Wir verabreden uns für den kommenden Abend, und ich registriere mit Erstaunen, wie aufgeregt ich bin.
Den Rest des Tages bin ich kaum zu gebrauchen und ertappe mich dabei, im Geiste meinen Kleiderschrank nach der passenden Garderobe zu durchforsten. Leider hat Marco aus dem Ort unseres Treffens ein Geheimnis gemacht, so dass ich keine Ahnung habe, ob ich besser etwas Schickes anziehen soll oder etwas, das »weniger aufgeregt« wirkt, wie Nele es nennt, als ich ihr am Abend bei einem Glas Wein von meiner Begegnung erzähle.
»Ich finde, dass dein Look wie zufällig wirken sollte. Lässig, locker und trotzdem sexy. Am besten eine enge Jeans und irgendein Oberteil, das dir hin und wieder mal über die Schulter rutscht. Oder irgendetwas Durchsichtiges (bei diesem Wort ziehe ich die Augenbrauen hoch), mit einem Top darunter. Aber so was hast du gar nicht, oder?«, fragt meine Freundin.
Ich bin kurz leicht beleidigt, weil sie die Wörter »so was« derart betont, als sei ich ausschließlich langweilig gekleidet, was natürlich nicht stimmt.
»Am besten, du gehst einkaufen!«, sagt Nele.
Das halte ich für eine ausgesprochen gute Idee. Außer dem Parka habe ich nämlich schon ewig nichts Neues mehr zum Anziehen gehabt, schließlich gab es hier bislang auch noch keine Veranlassung zum Garderobenwechsel. Aber jetzt, zum Sommer hin, könnte mein Kleiderschrank durchaus eine kleine
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