Inselzauber
euch selbst gesehen. Ich war mit ein paar Kollegen an der Bar, um noch ein Bier zu trinken, und hatte von dort aus einen hervorragenden Blick auf euren Tisch. Dafür, dass ihr euch kaum kennt, habt ihr sehr vertraut gewirkt.«
»Warum bist du nicht vorbeigekommen, um Hallo zu sagen?«, frage ich und bin ein wenig ärgerlich, weil ich mich kontrolliert fühle.
»Ich wollte euch nicht stören. Wie gesagt, ihr habt sehr vertraut gewirkt. So, dank dir für die Zeitschriften, ich muss jetzt los. Redaktionskonferenz«, fügt er knapp hinzu und verlässt die Bücherkoje, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Seltsame Begegnung, denke ich, während ich die Bestsellerwand auffülle.
Einige Stunden später sitzen Bea und ich an Neles Küchentisch und reden uns die Köpfe heiß. Frank Degenhard ist ein Banker ohne Herz (und ohne Visionen, wie Bea wütend bemerkt) und verlangt anstelle der schnell zusammengeschusterten Daten einen wirklichen Businessplan, den wir in Zusammenarbeit mit einem Steuerberater oder einem Profi in Sachen Unternehmensgründung erstellen sollen.
»Aber wir wollen doch gar kein Unternehmen gründen, sondern zwei bestehende zusammenführen«, mault Nele, was ich gut verstehen kann.
»Tja, wenn Herr von und zu Degenhard das so möchte und wir uns noch immer einig sind, dass wir das Büchernest haben wollen, wird uns wohl oder übel nichts anderes übrigbleiben, als einen Unternehmensberater zu engagieren«, sagt Bea und spricht damit exakt das aus, was ich denke. »Die gute Nachricht ist doch, dass die Bank uns momentan keine weiteren Steine in den Weg legt und uns genug Zeit gibt für diesen Plan. Ich finde das schon erstaunlich flexibel für einen friesischen Dickschädel, wie Frank Degenhard einer ist. Fragt sich bloß, wo wir auf die Schnelle jemanden herbekommen, der uns hilft. Mein Steuerberater steht kurz vor der Pensionierung und hat mit Sicherheit keine Lust dazu.«
Ich überlege fieberhaft, ob mir jemand einfällt, aber ich kenne kaum Leute auf der Insel, und schon gar niemanden, der Ahnung von Finanzen hat, oder etwa doch? »Ich glaube, ich weiß jemanden!«, rufe ich in die Runde und bin ganz aufgeregt, so gut finde ich meine Idee. »Was haltet ihr davon, wenn ich diesen Tilman Luckner von der Sylter Quelle anspreche? Schließlich ist er als Marketingchef zum einen mit der Förderung des kulturellen Lebens auf Sylt betraut und zum anderen mit deren Finanzierung. Beim Büchernest handelt es sich immerhin um ein kulturelles Projekt, oder etwa nicht?«, frage ich, während Nele und Bea begeistert nicken. »Luckner anrufen«, notiere ich auf dem Zettel, den ich mir für unser Gespräch zurechtgelegt habe.
»Gute Idee«, lobt Bea und lächelt mich an. »Habe ich es nicht gesagt? Du hast immer kreative Einfälle, wenn Not am Mann ist. Aber wenn wir hier schon im trauten Kreise zusammensitzen: Hast du denn eigentlich schon eine Entscheidung getroffen?«
Zwei Augenpaare sehen mich gespannt an, und ich werde verlegen. Wie bringe ich es den beiden nur am besten bei?
»Nun sag bloß nicht, dass du dich gegen uns entscheidest!«, ruft Nele und mustert mich ängstlich, weil ich nicht sofort auf die Frage meiner Tante antworte.
Es nützt nichts, ich muss es jetzt sagen …
»Es tut mir leid«, leite ich meine Erklärung ein und merke, wie Neles Mundwinkel nach unten gehen. »Ich habe die letzten Tage andauernd über Beas Vorschlag nachgedacht. Bea, es ist wirklich ganz toll von dir, dass du mir zutraust, die Bücherkoje zu übernehmen. Ich weiß, was das für ein Vertrauensbeweis ist. Aber ich muss ablehnen.«
»Warum denn?«, fällt Nele mir ins Wort, ehe ich meine Entscheidung begründen kann.
»Zum einen möchte ich Birgit Stades Pläne nicht durchkreuzen. Sie hat sich so lange Hoffnungen gemacht, und die will ich ihr nicht nehmen. Denn selbst wenn sie es akzeptieren würde, dass ich jetzt an ihre Stelle trete, würde das auf die Dauer nicht gutgehen mit uns.« Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, wie Bea nickt, während Nele, die manchmal etwas robuster mit den Gefühlen anderer Menschen umgeht, kein Verständnis erkennen lässt. »Außerdem denke ich, dass auch du, Bea, irgendwann genug davon haben wirst, zu Hause herumzusitzen und nur noch die Buchhaltung zu machen. Die Bücherkoje ist dein Leben und wird es auch immer bleiben. Da müssen wir uns nichts vormachen, oder?«, fahre ich fort, während Bea kurz den Mund öffnet, um ihn gleich danach wieder zu schließen. »Aber der Hauptgrund ist,
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