Inselzirkus
sollte. An einem weiteren Tisch hockte jemand missmutig über seinem Bier, und vor der Theke stritten sich zwei Männer über die Qualität eines Drehbuchautors, den der eine begnadet und der andere total unbegabt fand.
»Harry ist nicht hier?«, fragte Heidi flüsternd, während sie sich zu Carlotta, Kristin und Beate setzte.
»Meinst du, den Fettwanst könntest du übersehen?«, fragte Beate genauso leise zurück.
Das Gekicher, das prompt einsetzte, unterband Heidi mit einer resoluten Handbewegung. Die anderen begriffen sofort, dass sie etwas Wichtiges zu berichten hatte. So leise, dass es an keinem der Tische gehört werden und auch nicht an die Ohren des Wirtes dringen konnte, tuschelte Heidi: »Die Zeit der Rache ist gekommen.«
Mamma Carlotta lief ein Schauer über den Rücken. Rache? Was war damit gemeint?
Heidi schob mit dem Fuà die Tüte unter den Tisch, damit jede der drei sie mit ihren FüÃen betasten konnte. Für Mamma Carlotta war das wenig aufschlussreich, durch ihre neuen Stiefeletten spürte sie nur etwas Weiches, Nachgiebiges. Beate und Kristin konnten ohne Umstände aus ihren Slippern schlüpfen, aber obwohl sie die Plastiktüte mit den Zehen kneteten, wurden sie genauso wenig schlau aus ihrem Inhalt.
Heidi schien nichts anderes erwartet zu haben. »Ich komme gerade von dem Hühnerhof. Ihr wisst schon, wo morgen diese Autogrammstunde ist!«
Die anderen nickten. »Und was hat das mit dieser Tüte zu tun?«, fragte Kristin.
»Ich habe was mitgebracht«, sagte Heidi. »Heute Nacht werden wir aller Welt zeigen, wie klein der kleine Unterschied ist, mit dem Harry so gern angibt.«
Keine der drei konnte sich vorstellen, was Heidi vorhatte, aber in zwei Augenpaaren erschien prompt ein frivoles Leuchten. Mamma Carlotta war die Einzige, die skeptisch dreinblickte. So abenteuerlustig sie eigentlich war, die Gedanken an den Körperteil eines Mannes, der in ihrem Dorf als unaussprechlich galt, bereiteten ihr immer noch Pein.
»Dem werden wir heute die groÃe Klappe stopfen!«, flüsterte Heidi.
»Aber wie?«, fragte Beate zurück. »Ich möchte meine Rolle nicht verlieren.«
Heidi winkte ab. »Das will keiner.« Sie sah sich um. »Hier können wir nicht reden! Lasst uns woanders hingehen.«
»Aber wohin? Belauscht werden können wir überall, wo man âºLiebe, Leid und Leidenschaftâ¹ und unsere Nasen kennt.«
Heidi überlegte, dann lachte Kristin plötzlich Mamma Carlotta an. »Wie wärâs mit dieser Location, die du für Tanja aufgetan hast?«, fragte sie. »Eine Kaschemme! Da dürften wir unter uns sein!«
Das bestätigte Mamma Carlotta unumwunden. Tove wusste nichts von »Liebe, Leid und Leidenschaft« und Fietje nichts Genaues. Gäste, die den Abend in Käptens Kajüte verbringen wollten, waren nicht zu erwarten, und diejenigen, die sich eine Currywurst oder Pommes frites in ihre Ferienwohnung holten, würden nichts merken, wenn Beate, Kristin und Heidi ihnen konsequent den Rücken zudrehten. Trotzdem gab sie nur zögernd den Namen und die Adresse von Käptens Kajüte preis. Durfte sie sich als Schwiegermutter eines Kriminalhauptkommissars überhaupt auf ein so anstöÃiges Spiel einlassen?
Die drei Schauspielerinnen waren sofort Feuer und Flamme. »Wir bestellen uns ein Taxi!«
Beate zog gerade ihr Handy aus der Tasche, da fiel Mamma Carlotta ein, wie sie sich ein wenig aus dieser bedenklichen Komplizenschaft lösen konnte, ohne ganz auf das Abenteuer verzichten zu müssen, von dem sie nicht einmal genau wusste, wie es aussehen sollte. Wenn sie nicht gemeinsam mit den anderen im Taxi, sondern mit ihrem Fahrrad zum Hochkamp fuhr, dann hätte sie die Möglichkeit, sich leicht von den dreien zu trennen und ihnen zu erklären, dass sie mit derart obszönen Plänen nichts zu tun haben wollte. In diesem Fall konnte sie sich auf den Sattel schwingen und im Nu zu Hause sein, wo sie eigentlich längst hingehörte.
AuÃerdem fiel Mamma Carlotta ein weiterer guter Grund ein, sich nicht mit den drei anderen zu verbünden, indem sie sich mit ihnen in ein Taxi setzte. Sie fühlte sich verpflichtet, Tove auf das Erscheinen der drei Schauspielerinnen vorzubereiten, damit er sich einigermaÃen freundlich verhielt und die Zusammenarbeit mit Eidam-TV nicht gefährdete.
Eilig wünschte sie dem Wachmann an
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