Inselzirkus
konnten das Meer glitzern sehen, dieses Licht auf den Wellen, das ständig in Bewegung war. Erik sah nicht nach rechts, wo die Bank neben dem Gedenkstein stand, der zur Erinnerung an die Segelflugschule Wenningstedt errichtet worden war. Auf dieser Bank hatte er mit Lucia am Tag vor dem Unfall gesessen. Sie hatten über die Kinder gesprochen, über Lucias Familie in Umbrien, über Nachbarn, über kleine Sorgen und über Erinnerungen, die sie zum Lachen gebracht hatten. Und Lucia hatte verlangt, dass er sie küsste, in aller Ãffentlichkeit! Er hatte abgewehrt und sie auf ihre eigenen vier Wände vertröstet. Aber hatte er sie geküsst, als sie dort angekommen waren? Erik wusste es nicht. Wie fahrlässig man doch mit dem Leben umging, wenn man glaubte, es dauerte noch lange!
Sie liefen eine Weile parallel zum Strand, der unter ihnen lag. Dann kamen die Lichter des Restaurants Wonnemeyer in Sicht, das zwischen Kliff und Strand lag. Noch bevor sie es erreichten, kamen ihnen zwei Männer mit Kameras entgegen, die ihnen bereitwillig Auskunft gaben. »Wir sind fertig. Sandra zieht sich gerade um.«
Als Erik und Sören die hölzerne Treppe zum Restaurant hinabstiegen, trat Sandra Zielcke gerade aus einem der hinteren Eingänge. Anscheinend hatte Wonnemeyer der Fernsehproduktion Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt.
Mittlerweile war es später Abend geworden. Der Strand spiegelte das weiÃe Mondlicht wider, es glitzerte auf dem Wasser und brach sich in den flinken kleinen Wellen. Der wolkenlose Himmel war von einem tiefen Blau, aber nicht finster. Der Tag ging in eine helle Nacht über.
Während sie Sandra Zielcke entgegensahen, fragte Erik leise: »Ob meine Schwiegermutter wohl mittlerweile aufgetaucht ist?«
Sören sah ihn erschrocken an. Anscheinend hatte er Mamma Carlotta über seinen vielfältigen Beschwerden für eine Weile vergessen. »Ich habe neulich mal von einer alten verwirrten Frau in Morsum gelesen«, sagte er voller Sorge, »die sich in der Nacht verirrt hat und am nächsten Morgen tot am Strand gefunden wurde.«
Aber Erik winkte ärgerlich ab. »Wollen Sie meine Schwiegermutter etwa eine alte verwirrte Frau nennen? Wenn sie das erfährt, macht sie Ihnen nie wieder Pappardelle mit Pilzsugo.«
»Aber was ist, wenn sie gestürzt ist und sich was gebrochen hat? Dann könnte sie genauso hilflos irgendwo liegen wie diese alte verwirrte Frau aus Morsum.«
Erik dachte kurz nach, dann schüttelte er den Kopf. »Meine Schwiegermutter ist nicht hilflos. Und sie ist nie allein. Wenn ihr was passiert, schreit sie Zeter und Mordio. Wo ihr etwas zustöÃt, gibt es auf der Stelle einen Menschenauflauf.«
Er war froh, als Sandra Zielcke auf sie zu trat und sie ansprach, sodass er den schrecklichen Gedanken an eine hilflos daliegende Mamma Carlotta beiseiteschieben konnte. »Sie wollen mich sprechen?« Erik fiel sofort auf, dass Sandra Zielcke sich nicht wunderte, von der Polizei Besuch zu bekommen. »Ich hoffe, es dauert nicht lange. Ich bin furchtbar müde. Der Dreh war anstrengend.«
Erik nickte verständnisvoll. »Nur ein paar Fragen«, beruhigte er sie. »Wir können ja gemeinsam durch die Dünen zurückgehen. Dann verlieren Sie keine Zeit.«
Sandra Zielcke trug Röhrenjeans, einen schmalen, langen Pullover und darüber eine kurze weite Jacke in strahlendem WeiÃ. Ihren ebenfalls weiÃen Schal hatte sie sich mehrfach um den Hals geschlungen, als müsse sie auf ihre Stimme achtgeben. Sie sah blass und müde aus und jünger, als sie war. Ihr Tonfall erschien Erik um mehrere Nuancen zu locker. »Wahrscheinlich geht es um Max Triebel?«
»Wie kommen Sie darauf?« Erik war überrascht.
»Ich habe heute in der Redaktion der Blitz angerufen«, entgegnete Sandra. »Triebel hatte mir zugesagt, heute das Interview zu schicken, das er gestern Morgen mit mir gemacht hat. Wir hatten verabredet, dass ich es gegenlese, bevor es in Druck geht.«
Erik nickte. »Und das hat er nicht gemacht.«
Sandra sah auf ihre FuÃspitzen. Sie hatte groÃe FüÃe, und die Westernstiefel, die sie trug, machten sie noch ein paar Zentimeter länger. »Ging wohl schlecht«, meinte sie. »Er ist tot.«
»Hat man Ihnen auch gesagt, woran er gestorben ist?«, fragte Erik.
»Herzinfarkt?«
»Nein, er wurde ermordet.«
»Aha!« Sandra schritt nun so
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