Inselzirkus
hatte alles noch schlimmer gemacht. » Ich war zum Abendessen zurück!«, hatte seine Schwiegermutter ihn angefahren. »Aber niemand war zu Hause! Sollte ich warten, bis sich einer von euch gnädig dazu herablässt, das Essen zu probieren, das ich mit viel Aufwand gekocht habe?«
Erik war perplex gewesen. Lieber Himmel! Seine Schwiegermutter emanzipierte sich! Das war ja schrecklich! Bisher war darauf Verlass gewesen, dass bei Mamma Carlotta alles so blieb, wie es war. Er hätte sogar gewettet, dass sie das Wort Emanzipation gar nicht kannte, weder das deutsche noch das italienische. Das lieà sich nur mit ihrem neuen Umgang erklären. In Schauspielerkreisen war Emanzipation wahrscheinlich selbstverständlich.
»Ich war sehr beschäftigt«, hatte er hilflos zurückgegeben. »Der neue Mordfall â¦!«
»Du warst beschäftigt?« Sie hatte ihn derart aufgebracht angeherrscht, dass er jede Hoffnung auf Spaghetti alla carbonara fahren lieÃ. »Trotzdem hattest du Zeit, mich zu kontrollieren! Schämst du dich nicht, mir hinterherzuspionieren, als wäre ich minderjährig?«
Erik hatte kein Wort verstanden. »Das habe ich nicht getan!«
»Gibâs wenigstens zu! Warum sonst stand dein Fahrrad am Zaun? Und Sörens auch! Du warst bei Eidam-TV.«
»Aber nicht deinetwegen, sondern wegen einer Vernehmung!«
Mamma Carlotta jedoch hatte ihm kein Wort geglaubt. So war Erik gezwungen gewesen, ihr mehr von diesem Mordfall zu erzählen, als ihm lieb war. Erst als sie glauben konnte, dass er tatsächlich zu Eidam-TV gekommen war, um Bruce Markreiter zu vernehmen, war Schluss gewesen mit ihren Vorwürfen.
An ihrer Empörung änderte das allerdings nichts. »Bruce Markreiter soll einen Mord begangen haben? Enrico, du musst dich irren! Man wird dich auslachen, wenn du so was behauptest. Ein berühmter Mann! Der würde das nie tun!«
»Er hat ein Motiv«, verteidigte Erik sich. »Und es scheint so, als wäre Max Triebel mit Markreiters Pistole erschossen worden.«
Tatsächlich vergaà Mamma Carlotta bei dieser ungeheuren Neuigkeit, was sie Erik vorgeworfen hatte, und er hatte die Hoffnung, dass sie ihm nun glaubte. »Ich bin wirklich nur zu Eidam-TV gekommen, um mit Bruce Markreiter zu reden. Und mit diesem Harry Jumperz.«
Mit der Erwähnung des Chefautors schien Mamma Carlotta allerdings wieder einzufallen, dass sie beleidigt sein wollte. Schlagartig brach sie das Gespräch ab und wollte unverzüglich schlafen gehen.
Bisher war es Erik furchtbar lästig gewesen, sich jeden Abend anhören zu müssen, dass eine Kassiererin von Feinkost Meyer eine Verwandte in Pienza hatte, wo auch einer von Mamma Carlottas vielen Neffen wohnte, oder dass die Schwester des Bäckers, die in der Türkei verheiratet war, zu Besuch nach Sylt kommen wollte. Gestern Abend jedoch hatte Mamma Carlotta zu Bett gehen wollen, ohne ausführlich zu berichten, was sie davon abgehalten hatte, die Familie mit Spaghetti alla carbonara zu verwöhnen. So etwas war noch nie vorgekommen, und es gefiel ihm ganz und gar nicht. Mamma Carlotta erzählte doch sonst immer alles, ob sie aufgefordert worden war oder nicht. Und wenn sie ausdrücklich gebeten wurde, war sie dermaÃen entzückt, dass ihre Schilderungen dreimal so lang wie nötig waren und derart üppig ausgeschmückt und mit ihren ganz persönlichen Ansichten dekoriert, dass kein vernünftiger Mensch sie für bare Münze nehmen konnte.
Erik war immer unruhiger geworden. Auch er wäre eigentlich gern zu Bett gegangen, aber er hatte gespürt, dass er nicht in den Schlaf finden würde, solange er nicht wusste, wer Mamma Carlotta etwas von Emanzipation ins Ohr geflüstert hatte. Als seine Schwiegermutter angefangen hatte, die Küche aufzuräumen, obwohl längst alles an seinem Platz stand, und statt einer Antwort mit der Frage gekommen war, ob er die Zabaione probiert habe, war ihm klar geworden, dass sie ihm etwas verheimlichte.
»Nun sag schon! Wenn du eine Nebenrolle bekommen hast, verspreche ich dir, Carolin nichts davon zu verraten!«
Mamma Carlotta jedoch hatte hoch und heilig versichert, dass es bei der winzigen Sprechrolle geblieben war. Derart hoch und heilig sogar, dass Erik dennoch den Eindruck gehabt hatte, ins Schwarze getroffen zu haben. Was war nur los mit ihr? Was hatte sie so verändert?
Dann endlich war es aus ihr
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