Inselzirkus
Erinnerung an die vergangene Nacht in den Hintergrund getreten war. Ein unterhaltsamer Tag stand ihr bevor. Sie würde Besitzerin eines Handys werden und dann mit Tanja Möck in Käptens Kajüte frühstücken gehen. Und wenn sie dann noch erfuhr, dass Harry Jumperz aus seiner Angst und der Peinlichkeit, ohne Hose den Weg nach Hause finden zu müssen, geläutert hervorgegangen war und von nun an jeder Frau mit Respekt begegnete, würde dieser Tag ein guter Tag werden.
Die Schreckensvision, die sie überfiel, als sie in den Süder Wung einbog, schob sie kurzerhand beiseite, als ihr Frau Kemmertöns, die Nachbarin, entgegenkam, die sich freudig anbot, zu Mamma Carlottas Ablenkung beizutragen. So flog die Frage nur ganz kurz durch ihren Kopf, was geschehen würde, wenn Harry Jumperz den Club der Bösen Hühner trotz aller Vorsorge erkannt hatte. Wenn er Beate, Heidi und Kristin an ihren Augen, ihrem Duft, ihren Händen identifiziert hatte und wenn die drei dann im Kreuzverhör zugaben, dass eine Vierte ihre Komplizin gewesen war und dass es sich dabei um die Schwiegermutter von Kriminalhauptkommissar Wolf handelte. Nein, dieser entsetzliche Gedanke nistete sich zum Glück nicht in ihren Gedanken ein, weil Frau Kemmertöns mit einer anrüchigen Neuigkeit aufwarten konnte. Die unfreundliche Verkäuferin von Bäcker Arfsten hatte ein Verhältnis mit dem neuen Verkäufer von Fisch-Blum, mit dem sie scheinbar liebenswürdiger umging als mit den Kunden der Bäckerei. Als das ausgiebig erörtert worden war, rauschte Sören mit seinem Rennrad vorbei und klingelte Mamma Carlotta aus den pikanten Einzelheiten, mit denen Frau Kemmertöns sie gerade versorgte.
»Madonna! Das Frühstück!« Mamma Carlotta verabschiedete sich hastig von der Nachbarin, versprach noch, sich demnächst mit ihren Erfahrungen bei »Liebe, Leid und Leidenschaft« zu revanchieren, und hastete hinter Sören her. Wenn sie sich auch neuerdings eine moderne, emanzipierte Frau nannte â das Frühstück für die Familie durfte darunter nicht leiden. Schlimm genug, dass die Zutaten für die Spaghetti alla carbonara noch immer im Kühlschrank lagen! Man durfte es mit der Emanzipation nicht übertreiben. Das hatte sogar die Rechtsanwältin in ihrem Dorf eingesehen, die darauf bestanden hatte, dass ihr Mann Hausmann wurde und die Kinder aufzog. Am Ende war er mit der Kindergärtnerin durchgebrannt, die von Emanzipation nichts hielt. So konnte es einer modernen Frau ergehen!
Erik stellte erfreut fest, dass Sörens Verfassung sich entscheidend verbessert hatte. So mitgenommen er sich am Abend vorher noch verabschiedet hatte, so aufgeweckt wirkte er nun. Zufrieden hörte er zu, wie Sören Mamma Carlotta die Sorgen schilderte, die er sich ihretwegen gemacht hatte.
»Signora, Ihr Schwiegersohn und ich, wir hatten solche Angst um Sie! Da gab es neulich einen Fall in Morsum â¦Â«
Erik warf Sören einen scharfen Blick zu, damit er die Frau, die am Strand zu Tode gekommen war, weder alt noch verwirrt nannte. Aber Sören wusste, worauf es ankam, und schilderte sie als agil und lebensfroh. »Dennoch hat sie sich verirrt und ist erfroren!«
Mamma Carlotta war gerührt, dass sogar Sören, der nicht zur Familie gehörte, Angst um sie gehabt hatte. Deshalb schlug sie zwei Eier mehr in die Pfanne, die Sören zugutekommen sollten, und war sogar bereit, sich damit abzufinden, dass der Fahrer eines Streifenwagens sie behandelt hatte wie die alte Signora Gabrieli in ihrem Dorf, die oft im Nachthemd auf die StraÃe lief und dann nicht wieder nach Hause fand.
»Meine Schwiegermutter ist eine moderne und emanzipierte Frau«, erläuterte Erik seinem Assistenten und schickte seinen Worten einen bedeutungsvollen Blick hinterher. »Die kann selbstverständlich nach Hause kommen, wann sie will.«
Sören wollte dazu etwas sagen, was Mamma Carlotta vermutlich nicht gefallen hätte, spürte dann aber die Spannung, die in der Küche lag, und schwieg vorsichtshalber.
Dabei belieà er es, während Mamma Carlotta sich um das Rührei kümmerte, um die Schnittlauchröllchen, die es krönen sollten, um die Brötchen, von denen sie Sören eins ungefragt auf den Teller legte, um die selbst gekochte Feigenmarmelade, die sie ihm anpries, und das alles, während sie gleichzeitig ein Auge auf die Pfanne hatte und schilderte, wie
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