Inselzirkus
»Vielleicht ist es doch gar nicht so schlecht, Beamter zu sein?«
»Frau Jumperz hat behauptet, nicht mal Martin Eidam wüsste von Harrys Klaustrophobie. Und den nannte er immerhin seinen Freund.«
»Trotzdem muss jemand davon gewusst haben«, überlegte Erik. »Und wenn das so ist, dann können wir von einem Mordanschlag reden.« Er legte beide Unterarme auf die Tischplatte, beugte sich Sören entgegen und setzte das verständnisvolle Gesicht des Vorgesetzten auf, der immer ein offenes Ohr für seine Mitarbeiter hat. »Sie wollten mir was sagen! Also raus mit der Sprache, Sören! Worum gehtâs?«
Sörens Miene veränderte sich schlagartig. Wieder erschien so etwas wie Schuldbewusstsein darin. »Sie wissen, mein Umzug«, begann er. »Der alte Sönksen aus dem Erdgeschoss ist ja ins Altenheim gegangen.«
Erik nickte ungeduldig. Er hörte seit Wochen kaum etwas anderes von Sören. Angefangen von der Entscheidung, die Wohnung zu wechseln und sich eine höhere Miete aufzuhalsen über das Aussuchen von Tapeten und Teppichböden bis zu den Ãberlegungen, ob der Tiefkühlschrank des alten Sönksen noch hundert Euro wert sei, hatte er jeden Entschluss gemeinsam mit Sören gefasst.
»Die Tochter vom alten Sönksen hat mir die Wohnung schon vor zwei Wochen besenrein übergeben«, fuhr Sören fort.
Erik nickte erneut. Auch das war ihm wohlbekannt.
»Aber zwei Kartons im Keller hat sie vergessen. Ich habe mir den Inhalt angesehen. Bücher, Zeitschriften und so was â¦Â«
Vetterich trat ein, ohne anzuklopfen, wie es seine Art war. »Ich habe die Fingerabdrücke untersucht, die ich an dem Kulissenschrank gefunden habe.«
»Und?«, fragte Erik gespannt.
Vetterich schüttelte den Kopf. »Wer den Schlüssel des Schranks gedreht hat, ist nicht derselbe, der über Triebels Balkongitter geklettert ist. Und auch nicht derjenige, der das Schrankfach in Markreiters Zirkuswagen geöffnet hat, in dem die Pistole lag.«
Erik sank enttäuscht zurück. »Vielleicht decken sich die Spuren in Triebels Apartment mit dem Fingerabdruck eines Mitarbeiters von Eidam-TV?«
»Darum kümmere ich mich als Nächstes«, sagte Vetterich und verlieà den Raum so gruÃlos, wie er ihn betreten hatte.
»Wenn nicht«, ergänzte Sören, »müssen wir davon ausgehen, dass Triebels Mörder nichts mit âºLiebe, Leid und Leidenschaftâ¹ zu tun hat.«
Erik nickte. »Die Spuren am Kulissenschrank werden uns nicht weiterbringen. Jeder, der für Eidam-TV arbeitet, kann den Schrank berührt haben.«
»Fingerspuren taugen ohnehin nur als Indiz, nicht als Beweis.«
Sie versanken in kurzes Brüten, dann erinnerte Erik seinen Assistenten an das Gespräch, das Vetterich unterbrochen hatte. »Was haben Sie in den Kartons von dem alten Sönksen gefunden?«
Wieder ging in Sörens Gesicht die Veränderung vor, die Erik sich nicht erklären konnte. Von der Idee, sein Assistent könnte ihm einen schweren dienstlichen Fehler beichten wollen, rückte er nun ab. Sören sah nicht so aus, als schämte er sich für das, was er selbst getan hatte, sondern für die Verfehlung eines anderen.
»Nun sagen Sie schon«, drängte Erik. »Was haben Sie gefunden?«
»Pornozeitschriften«, antwortete Sören leise. »Schon ältere, fünf bis sechs Jahre alt. Stellen Sie sich das vor! Sönksen ist über achtzig!«
Erik sah Sören ungläubig an. Dass dieser junge Mann, der zu der Generation gehörte, die sich besonders im Bereich der Sexualität um keine Konventionen mehr scherte, darüber empörte, dass ein alter Mann Pornozeitschriften gelesen hatte, amüsierte ihn. »Was ist daran so schlimm? Wennâs ihm geholfen hat, besser mit dem Alter und dem Alleinsein fertigzuwerden â¦Â«
»Darum gehtâs nicht«, gab Sören zurück. »Ist mir doch egal, ob der alte Sönksen â¦Â« Den Rest des Satzes schluckte er herunter, und Erik war ihm dankbar dafür.
»Was ist es dann, was Sie so aufbringt?«
Wortlos erhob sich Sören, ging in sein Zimmer und stand schon wenige Augenblicke später wieder vor Eriks Schreibtisch. Obwohl er die Zeitschrift zusammengerollt hatte und mit beiden Händen bedeckte, konnte Erik erkennen, dass es sich um ein Pornoblatt der übelsten Sorte handelte. Mit einer heftigen Bewegung
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