Inselzirkus
Nacht irgendetwas beobachtet habe. »Sie wissen doch, dass ein Mann heute Morgen tot aufgefunden wurde, oder? Haben Sie was gesehen oder gehört?«
Aber Busso schüttelte den Kopf. »Das hat mich die Polizei auch schon gefragt. Aber ich war mit meinen Kumpels bei Feinkost Meyer verabredet. Bin erst spät zurückgekommen. Da war alles dunkel und still.«
Busso ärgerte sich, dass er eine Sensation verpasst hatte, und Mamma Carlotta gab sich Mühe, sich ihre Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Noch in der vergangenen Nacht hätte sie sich keine Sorgen gemacht. Wenn Busso Heinemann vier groÃe Hühner beim Eindringen in den Inselzirkus beobachtet hätte, hätten sie ihn einfach zum Komplizen gemacht. Ein paar Antipasti zusätzlich, und er hätte bestimmt nichts dagegen gehabt, dass einem fiesen Kerl, der junge Mädchen belästigte, ein Denkzettel verpasst wurde. Nun aber war dieser Kerl tot, und das änderte alles. Niemand durfte etwas vom Club der Bösen Hühner erfahren. Er war ein Geheimbund geworden!
Zum Glück brachte Busso die Hose, die er am Morgen auf seiner Decke gefunden hatte, nicht mit dem Geschehen in der Kulissenhalle in Zusammenhang. Er glaubte, er habe sie ebenso Carlottas Schwiegersohn zu verdanken wie den Pullover, den er nicht genug loben konnte. »So was Gutes habe ich nie besessen!«
Als Mamma Carlotta aufs Fahrrad stieg, ging es ihr besser. Das Schuldgefühl war allerdings immer noch da, ebenso wie die Angst, dass Erik sie als Mitglied des Clubs der Bösen Hühner entlarven könnte. AuÃerdem machte ihr die Frage schwer zu schaffen, ob es Heidi, Kristin oder Beate gewesen war, die Harry Jumperz daran gehindert hatte, sich aus dem Schrank zu befreien. Sollte Erik herausfinden, dass seine Schwiegermutter bei Harrys schrecklichem Ende die Finger im Spiel gehabt hatte, würde er ihr vielleicht verzeihen, wenn sie den entscheidenden Hinweis zur Ergreifung der Täterin geben konnte? Sie musste die Augen offen halten! Vielleicht verriet sich eine der drei über kurz oder lang!
Einen Besuch an Lucias Grab versagte sie sich vorsichtshalber. Was ihre Tochter zu den Ereignissen sagen würde, wollte sie sich nicht ausmalen. Ihre Mutter in einen Mordfall verwickelt! Die Komplizin von drei Bösen Hühnern, von denen eins womöglich die Täterin war! Jede der drei hätte die Gelegenheit gehabt, zurückzugehen und dafür zu sorgen, dass Harry Jumperz nicht wieder aus dem Schrank herauskam. Und ein Motiv hatten sie auch. Madonna! Oder vielleicht steckte ja doch Bruce Markreiter hinter Triebels Ermordung und auch hinter Harrys Tod? Erik würde heute herausfinden, dass er ein falsches Alibi vorgebracht hatte, dann sein Augenmerk auf den Schauspieler legen und von dem Club der Bösen Hühner hoffentlich nie etwas erfahren.
Am besten, sie fuhr ans Meer! Dort würde sie auf Tanja Möcks Anruf warten. Die hatte zurzeit alle Hände voll zu tun und war nicht sicher, ob sie pünktlich in Käptens Kajüte erscheinen konnte, um die Location in Augenschein zu nehmen, die Mamma Carlotta für sie ausgesucht hatte.
»Jetzt habe ich ja Ihre Handynummer«, hatte sie gesagt. »Ich rufe Sie an, sobald ich kann.«
Wieder tastete Mamma Carlotta nach ihrem Handy, während sie am Dorfteich entlangradelte. Mit welchem Ton es wohl einen Anruf melden würde? Sie musste die Ohren spitzen, damit das Klingeln nicht vom Donnern der Brandung übertönt wurde.
Bald war sie an dem Platz angekommen, an dem früher das Kurhaus von Wenningstedt gestanden hatte, das jedoch abgerissen und bis jetzt nicht wieder aufgebaut worden war. Erik hatte ihr von dem Streit zwischen der Gemeindevertretung und den Kritikern des Neubaus erzählt, der bisher verhinderte, dass Wenningstedt wieder zu einem Kurhaus kam. Die Gegner wollten nicht, dass das neue Haus der Kurverwaltung in ein Hotel integriert wurde, das zwanzig Millionen Euro verschlingen sollte, und vor allem wollten sie nicht, dass Investoren auf die Insel kamen, die den Syltern Stück für Stück ihre Heimat wegnahmen.
Sie stellte ihr Fahrrad ab und wandte sich dem Meer zu. Der Strand würde erst zu sehen sein, wenn sie an der Kliffkante angekommen war oder auf der hölzernen Treppenanlage, die hier noch gröÃer und höher war als am Strandübergang SeestraÃe. Rechts lag das Restaurant Meeresblick, vor dem viele Strandkörbe hinter gläsernen
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