Inselzirkus

legte Sören es seinem Chef hin.
    Â»Schlagen Sie mal die Seite dreißig auf!«
    Erik begann zu blättern und gab sich redlich Mühe, nur nach den Seitenzahlen zu schauen und den Bildern, die sich ihm boten, keinen einzigen Blick zu schenken. Auf Seite dreißig machten junge Prostituierte Werbung für ihre Dienste. Alle stellten sich in mehr oder weniger aufreizenden Posen dar, und fast allen war auf die Brust oder den Unterkörper die Telefonnummer gedruckt, die der geneigte Leser anrufen konnte, wenn er sich mal so richtig verwöhnen lassen wollte. Auch die Stadt, in der die jeweilige Dame ihre Freier empfing, war vermerkt, um es den Interessenten leichter zu machen.
    Sören tippte auf eine junge Frau oben links auf der Seite. »Kennen Sie die?«
    Erik wollte gerade den Kopf schütteln, da fiel ihm auf, was diese junge Frau von den anderen unterschied. Hübsch waren sie allesamt, gut gebaut und großzügig in der Präsentation ihres Körpers sowieso. Aber eins unterschied die junge Frau oben links von allen anderen: Sie hatte einen Leberfleck auf der Oberlippe, der sie außergewöhnlich machte.
    Â»Wie Cindy Crawford in jungen Jahren«, sagte Erik, kurz bevor er begriff, wen er dort sah.
    Als Sören antwortete: »Cindy Crawford hat aber mit Sicherheit nie als Prostituierte gearbeitet«, wusste er, wen er vor sich hatte. Alina Olsted, die Lehrerin seiner Kinder.

    Mittlerweile hatte Sandra Zielcke sich ihre große Sonnenbrille auf die Nase geschoben und die Kapuze ihrer weiten grauen Jacke über den Kopf gezogen. Zwar beobachtete Mamma Carlotta, wie zwei Frauen sich anstießen, auf Sandra Zielcke zeigten und sich wohl fragten, ob sie eine Darstellerin der bekannten Fernsehserie vor sich hatten, die gerade auf Sylt gedreht wurde, die meisten aber gingen an ihr vorbei, ohne sie zu beachten. Sie blieb unbehelligt, während sie Alina Olsted mit einem Abstand folgte, der so groß war, dass die junge Lehrerin nicht auf sie aufmerksam wurde.
    Sie trug eine leichte Aktentasche bei sich, schien direkt aus der Schule zu kommen und sich am Strand vom Unterricht, von lärmenden Schülern, von der anstrengenden Arbeit in der Klasse erholen zu wollen.
    Auch Sandra Zielcke war nicht mit leeren Händen am Strand erschienen. Sie hatte eine Kamera um den Hals hängen und einen Rucksack bei sich, den sie über die rechte Schulter gehängt hatte. Jetzt blieb sie auf dem letzten Treppenabsatz stehen, während Alina Olsted sich auf den Weg zur Wasserkante machte.
    Sandra ließ sie nicht aus den Augen, während sie ihren Rucksack öffnete und ein Laptop herausnahm. Sie warf sich den Rucksack wieder über die Schulter, klemmte das Laptop unter den rechten Arm und folgte nun Alina Olsted mit einem Abstand, den sie sorgfältig einhielt. Immer wenn Alina stehen blieb, um den Blick über den Strand schweifen zu lassen, unterbrach auch Sandra ihre Wanderung und tat so, als wollte sie ebenfalls die gute Luft, den Wind und die Aussicht genießen.
    Mamma Carlotta folgte den beiden. Was hatte Sandra Zielcke vor? Dass sie etwas plante, stand außer Frage. Aber was? Woher kannte sie die Lehrerin? Und was hatte sie mit ihr vor?
    Mittlerweile war Alina Olsted an der Wasserkante angekommen. Sie schlug den Kragen ihres Trenchcoats hoch und zog den Kopf zwischen die Schultern, als fröre sie.
    Mamma Carlotta blieb in der Nähe eines unbesetzten Strandkorbs stehen. Weiter wagte sie sich nicht vor, damit Sandra Zielcke sie nicht bemerkte. Notfalls konnte sie sich in den Strandkorb zurückziehen, wenn die Gefahr bestand, dass Sandra auf sie aufmerksam wurde. Das war ein unbestreitbarer Vorteil. Allerdings musste sie sich damit begnügen, die beiden aus der Ferne zu beobachten. Um von ihrem Gespräch etwas mitzubekommen, hätte sie so dicht herangehen müssen, dass sie niemals unbemerkt geblieben wäre.
    Sie zog sich so weit hinter den Strandkorb zurück wie möglich, während Sandra Zielcke den Vorstoß wagte, für den sie anscheinend die richtige Gelegenheit abgewartet hatte.
    Alina Olsted sah aufs Meer hinaus, als sie von hinten angesprochen wurde. Sie drehte sich um und lächelte Sandra liebenswürdig an. Dann nickte sie, setzte ihre Aktentasche ab und ließ sich die Kamera aushändigen. Sandra stellte sich in Positur, und Alina schoss mehrere Fotos.
    Mamma Carlotta sah ungläubig zu. Das alles wegen ein paar Fotos an der