Inshallah - Worte im Sand - Roman
aufgefallen war.
»Salaam, rafiq!«, rief der Soldat. Er winkte mir und sagte auf Englisch etwas zu den anderen Amerikanern,wobei er auf mich zeigte. In der rechten Hand hielt er sein nach unten gesenktes Gewehr. Ich erstarrte. Najib stieß mich weiter, aber ich war wie gelähmt.
Als mich die übrigen Soldaten erblickten, kamen einige von ihnen lächelnd auf mich zu. Ich versteckte mich hinter meinem Tschador. Baba folgte ihnen. Er sprach mit einem Afghanen, der eine enge Jeans im amerikanischen Stil und eine graue Jacke trug.
Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Ich zuckte zusammen und fuhr herum. Hinter mir stand eine Amerikanerin. Sie trug die gleiche Uniform wie die Männer, die gleiche Schutzweste, den gleichen großen Helm, ja, sogar die gleiche Hose mit braunem und sandfarbenem Tarnmuster, war aber nur mit einer Pistole bewaffnet, die an ihrem Gürtel hing.
Ich wich zurück. Dann erinnerte ich mich an Malehkahs Worte und blieb stehen. Ich sah hilfesuchend zu meiner Familie. Najib hatte sich in die Menge zurückgezogen, aber Baba kam näher. Ich hoffte, dass er mir alles erklären würde, aber in Gegenwart der Soldaten blieb er stumm.
»Salaam«, sagte die Frau. Sie löste den Kinnriemen ihres Helms, und als sie ihn absetzte, sah ich, dass sie lange kastanienbraune Haare hatte, die hinten zusammengesteckt waren. Ein paar Strähnen hingen vor ihren Wangen. Wie konnte sie sich in aller Öffentlichkeit unbedeckt zeigen? Was war mit ihr los?
Sie lächelte und ergriff behutsam meine Hand. Dann sagte sie etwas auf Englisch zu dem Mann in der grauen Jacke.
Der Afghane sah mich an und sagte auf Dari: »Dies ist Captain Edmanton.« Bei seinen Worten nickte die Frauund sprach weiter. Der Dolmetscher fuhr fort. »Sie sagt, dass sie Mindy heißt. Ich bin Shiaraqa. Wir freuen uns sehr, dich kennenzulernen. Du musst keine Angst haben. Niemand wird dir wehtun.« Shiaraqa übersetzte in kurzen Abständen, was die Frau sagte. »Captain Mindy möchte deine Freundin sein. Sie will dir helfen. Sie würde sich gern deinen Mund anschauen.«
Was? Meinen Mund? Waren diese Leute den ganzen, weiten Weg gekommen, um sich meinen Mund anzusehen? War ich so hässlich, dass man sogar schon in Amerika von mir gehört hatte? Dennoch entspannte ich mich etwas. Immerhin waren die Polizisten nicht hier, die die Zitadelle bewachten.
Baba blickte mich an, hob die Augenbrauen und ließ die Hände kreisen, als wollte er sagen: ›Nun mach schon. Zeig ihnen deinen Mund.‹ Ich sah zu Anwar und seinen Freunden, weil ich befürchtete, dass sie wie Esel brüllen würden, aber sie schüttelten auf der anderen Seite der Militärfahrzeuge die Hand eines Soldaten.
»Nur keine Angst«, ließ mir Captain Mindy durch den Dolmetscher sagen.
Ich senkte meinen Tschador und entblößte meine hässliche, gespaltene Lippe und meine schiefen Zähne vor der ganzen Menge und all den Soldaten. Ich schämte mich so sehr, dass mir heiß im Gesicht wurde.
Die Frau musterte mich genau und sagte dann etwas, das der Dolmetscher nicht übersetzte. Schließlich drehte sie sich zum nächsten Amerikaner um. Der Soldat gehorchte sofort und rannte zu einem der Militärfahrzeuge. Kurz darauf kehrte er mit einer Kamera zurück.
Ich schlug instinktiv die Hände vor das Gesicht.
»Sie muss einen Blick auf deinen Mund werfen, Zulaikha«, sagte Baba. Er klang sehr ernst.
Ich zwang meine Hände nach unten und griff in mein Kleid. Die Kamera blitzte auf. Dann noch einmal. Nach mehreren Fotos lächelte Captain Mindy. »Tashakor.« Sie stellte sich neben mich, legte einen Arm um mich und gab die Kamera dem Soldaten, der sie auf ihren Befehl hin geholt hatte. Dieser hängte sich das Gewehr über den Rücken. Dann nickte er und sagte in stark gebrochenem Dari: »Eins, zwei, drei«, bevor er auf den Auslöser drückte.
Captain Mindy drehte die Kamera um. Auf einem winzigen Bildschirm war das Foto zu sehen, das uns beide zeigte. Sie lachte und drückte mich an sich. Ich spürte ihre Pistole in meiner Seite. Nachdem sie etwas auf Englisch gesagt hatte, übersetzte Shiaraqa: »Danke, dass du dich hier mit uns getroffen hast.«
Die Frau sprach wieder mit dem Soldaten, der nach einer kurzen Antwort noch einmal zu dem Militärfahrzeug lief. Dann drehte sie sich zu mir und sagte lächelnd etwas. Shiaraqa erklärte: »Wir würden dir gern ein paar Spielzeuge schenken. Vielleicht kennst du jemanden, der sie haben möchte, falls du zu groß dafür bist? Hast du jüngere
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