Inshallah - Worte im Sand - Roman
»Du musst das Schreiben weiter üben. Fang auf der Rückseite des Zettels an. Danach setze deine Übungen auf andere Art fort. Ritz die Schriftzeichen mit einem Stein in Beton. Mal die Wörter in den Sand. Ruf dir die Laute der Schriftzeichen beim Abschreibenin Erinnerung. Wenn du oft genug übst, wird dein Verständnis immer weiter wachsen.«
Ich lächelte. »Ich habe gestern beim Putzen des Wohnzimmers im Staub geschrieben.«
»Gut!« Meena lachte und klatschte einmal in die Hände. »Du bist die geborene Schülerin. Das ist deine Bestimmung.«
Ich steckte Zettel und Stift in die Tasche meines Kleides. »Tashakor.«
Ich kaufte so schnell wie möglich Seife und eilte dann auf Nebenstraßen nach Hause, um Anwar nicht über den Weg zu laufen. Als ich atemlos den Hauptraum unseres Hauses betrat, zitterten meine Beine und Hände.
Malehkah streichelte gerade Habibs Kopf, weil der Kleine ein bisschen schlafen sollte. Sie sah zu mir auf und zog ein grimmiges Gesicht. »Das hat ja lange gedauert. Geh und hilf deiner Schwester. Sie klopft hinten die Toshaks aus.«
»Bale, Mada.« Ich rannte zur Tür.
Khalid half Zeynab hinten auf dem Hof, denn es war die einzige Arbeit, die ihm gefiel. Sie hatte die weichen Kissen aus dem Wohnzimmer über die Leine gehängt und klopfte sie mit dem Besenstiel aus. Khalid, der den Staub aus einer ganz am Ende der Leine hängenden Toshak trat und schlug, stieß dabei Kampfgeräusche aus.
»Ich helfe dir«, begrüßte ich meine Schwester.
Sie kam ein paar Schritte auf mich zu. »Was hat dich so lange aufgehalten? Wo bist du gewesen?«
»Ich war nur … Es war so viel los. Jede Menge Leute. Und die Feilscherei hat eine Ewigkeit gedauert.« Die Wörter verließen meinen entstellten Mund, noch bevorich mich zum Lügen entschlossen hatte. Es war die erste Lüge, die ich meiner Schwester je erzählt hatte.
Ich redete mir ein, dass sie die Wahrheit nicht erfahren durfte. Sie hielt es für Zeitverschwendung, wenn Mädchen zur Schule gingen. Sie würde es sicher missbilligen. Sie würde Malehkah nichts verraten, aber es Baba erzählen. Und ich befürchtete, dass ich nichts mehr lernen durfte, wenn jemand erfuhr, dass ich mich von Meena unterrichten ließ. Ich wollte nicht, dass man mir etwas wegnahm, das noch gar nicht richtig begonnen hatte. Meena, der Unterricht und die Gedichte gehörten mir allein.
Zeynab verengte die Augen und runzelte die Stirn. Sie gab mir den Besen, nahm eine Toshak von der Leine und sah mich eine Weile stumm an. Dann lachte sie plötzlich und schlug mit der Toshak nach mir.
»Heh!« Ich wedelte den Staub aus meinem Gesicht. »Bist du dewana ?«
Wir arbeiteten den restlichen Vormittag, als wäre alles beim Alten. Wir unterhielten uns und versuchten, die Arbeit in ein Spiel zu verwandeln. Es war wie immer.
Baba und Najib kehrten am späten Nachmittag heim. Ich flickte gerade die Mauer zur Straße mit Torrans Dung. Sie waren müde und verschwitzt, ihre Kleider dreckig und ölverschmiert, aber Babas Augen funkelten glücklich. Er blieb mit Najib neben mir stehen.
»Zulaikha«, sagte Baba. »Hajji Abdullahs Bruder hat heute Neuigkeiten aus Farah mitgebracht. Der Hajji hat mit den Amerikanern gesprochen. Sie wollen dich in einer Woche mit dem Hubschrauber nach Kandahar fliegen, damit du operiert werden kannst.«
Kandahar? Es war viel über meine Operation geredetworden, aber niemand hatte erwähnt, dass ich nach Kandahar musste. Und vom Fliegen war sowieso nie die Rede gewesen!
Baba schien mir die Besorgnis anzusehen. Er hob behutsam meinen Kopf und strahlte mich an. »Hajji Abdullah hat sich bereit erklärt, die Baustelle hier in An Daral während meiner Abwesenheit zu leiten. Ich werde dich nach Farah bringen und danach den ganzen Weg begleiten. Das wird ein richtiges Abenteuer.«
»Bale, Baba.« Ich legte eine Hand vor den Mund und die andere auf mein heftig pochendes Herz. Hatte ich ihn richtig verstanden? Nur noch eine Woche? Das bedeutete, dass ich bei Zeynabs Hochzeit einen normalen Mund hätte. Nächste Woche wäre mein Eselgesicht Geschichte! Allah Akbar! Wie konnte ich meinem Vater für dieses Wunder danken? Ich umarmte ihn stürmisch. »Tashakor.«
Mein müder Vater erwiderte die Umarmung. Er brüllte fast vor Lachen und warf den Kopf in den Nacken. Ja, er lachte Tränen. »Wa-wa, Zulaikha.« Er klopfte mir auf den Rücken. »Habe ich nicht gesagt, dass sich dein Baba um alles kümmert?« Er hob mein Kinn und sah mich an. Dann sagte er ganz leise und
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