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Inshallah - Worte im Sand - Roman

Inshallah - Worte im Sand - Roman

Titel: Inshallah - Worte im Sand - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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normal sein will. Ich will nicht wie ein kleiner Vogel aussehen, wenn ich esse. Ich will …«
    »… wie jede andere sein?«
    »Ja! Wenn das hier nicht wäre«, ich zeigte mit der freien Hand auf meinen Mund, »würde ich nicht so komisch sprechen. Dann wäre Malehkah vielleicht nicht mehr so gemein zu mir. Sie und Baba hätten später nicht so vieleProbleme, einen Mann für mich zu finden. Vielleicht wäre ich dann keine so große Last.« Ich war überrascht, dass ich so viel gesagt hatte und außerdem noch weinte, und wischte mit dem Tschador über die Augen.
    Meena stand auf, ging zu einem Wandregal und holte ein Stoffbündel herunter. Als sie sich wieder setzte, hielt sie das Bündel wie ein Baby im Schoß. »Für deine Mutter warst du nie eine Last.« Sie wickelte ein uralt aussehendes Buch mit einem abgewetzten Ledereinband aus dem Tuch. Dann schlug sie das Buch behutsam auf und ließ die Hände über das feine Papier gleiten. Ich konnte die elegant geschwungenen Schriftzeichen zwischen ihren Fingern erkennen. »Deine Mutter hat die Literatur geliebt. Aber dich hat sie noch mehr geliebt. Sie wollte, dass du von ihren beiden Lieben weißt.«
    »Ich erinnere mich«, hauchte ich.
    Sie reichte mir einen Stift und ein Brett mit einem kleinen Stück Papier. »Zeig es mir.« Sie sprach mit sanfter Stimme.
    »Ich kann nur ein paar Wörter schreiben«, sagte ich. »Und die Schriftzeichen meines Namens.«
    »Gut!« Sie lächelte. »Das ist ein Anfang.«
    »Bale, Muallem.« Ich fand es passend, sie Lehrerin zu nennen. Sie schloss die Augen, zog ein zufriedenes Gesicht und legte mir zur Ermutigung sanft eine Hand auf den Arm.
    Ich schrieb die Schriftzeichen und die paar kurzen Wörter, an die ich mich noch erinnerte. Kuh. Mauer. Mond. Liebe. Dann dachte ich nach, ob mir noch mehr einfiel.
    »Gut«, sagte sie leise. »Nach so langer Zeit ist das sehr gut. Du hast ein ausgezeichnetes Gedächtnis.« Siezeigte mir eine Buchseite. »Und nun schreib die Wörter auf dieser Seite ab, mein Kind. Wenn du nicht alles verstehst, macht das nichts. Durch wiederholtes Abschreiben übst du deine Schrift und wirst nach und nach die Verbindung zwischen Lauten und Sinn erkennen. Du wirst nach und nach begreifen.«
    Sie las vor und folgte den Versen mit dem Finger. Während ich abschrieb, sprach sie langsamer. Dann las sie schneller, sodass die Worte einen Sinn ergaben. Beim dritten Mal bat sie mich mitzusprechen, wobei sie den Takt mit dem Finger angab. Danach lasen wir noch einmal alles gemeinsam und ich spürte, wie wir uns in der Sprache verloren. Alles war von dem uralten Rhythmus erfüllt.
    »Vergeudet nicht die flüchtige Zeit,
    Ihr, die ihr jung und kraftvoll seid.
    Weint lieber und gebt euren Sinn
    Der Trauer über das Ende hin.
    Denn euer Lenz ist rasch verglüht
    Und jede Blume schnell verblüht.
    Und unser Leben welkt wie Laub
    Und wird zuletzt zu schalem Staub.
    Trotzdem regiert die Eitelkeit,
    Treibt Sohn und Vater in den Streit,
    Vergießt unter Brüdern Blut ohne Not
    Und schürt die Rache bis über den Tod.
    Alles vergeht; selbst die Blütenpracht
    Unserer Gärten versinkt in der Nacht.
    Erzählen muss man von diesem Leid,
    Dieser Sage der Tränen aus alter Zeit,
    Damit sie in Erinnerung bleibt.«
    »Wie traurig«, sagte ich nach dem letzten Lesen. »Es geht um Kummer und Sorge.«
    Die Muallem nickte. »Ja, es handelt von Tod und Endlichkeit. Und trotzdem hat Firdausis Gedicht Sohrab über tausend Jahre überdauert.«
    Ich hätte gern erklärt, was ich beim Lesen des alten Gedichts empfunden hatte, aber ich war nicht so wortgewandt wie meine Muallem. »Es ist traurig«, wiederholte ich. »Aber … die Worte sind trotzdem schön. Schmerzhaft schön.«
    »Ja, das ist wahr, mein Kind.«
    »Beim Hören tut etwas … weh.« Ich legte mir eine Hand aufs Herz. »Und zwar hier. Aber gleichzeitig möchte ich mehr hören.«
    Ich betrachtete die Worte, die ich geschrieben hatte. Worte, die tausend Jahre alt und dabei doch ganz neu waren. Ich drückte sie an meine Brust, ohne mich zu schämen. Ich wusste genau, dass die Muallem Verständnis dafür hatte. Meine Mutter konnte lesen und schreiben – dieses Gedicht und noch viel mehr. Das wollte auch ich jetzt lernen.
    Das Hupen eines Autos ein paar Straßen weiter riss mich aus meinen Gedanken. Als ich zu meiner Muallem sah, merkte ich, dass auch sie sich erschrocken hatte. Wir mussten beide lachen.
    »Ich muss los«, sagte ich.
    »Ja, man wird dich zu Hause vermissen«, stimmte Meena zu.

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