Inside Aldi & Co.
Gegenwehr zu rechnen ist und bei denen es für den Discounter teurer als üblich wird.
B. musste am Ende des ovalen Tisches Platz nehmen, die Anzugträger positionierten sich ihm gegenüber. Er saß mit dem Rücken zur Tür und blickte nach draußen, auf den Parkplatz. Dort war die Freiheit. Aber er gab sich nicht so leicht geschlagen, wenngleich sie ihn weichkochten. Seine Vorgesetzten saßen mehr als zwei Meter von ihm entfernt und brüllten ihn an. Bereits in den Wochen zuvor hatte er immer wieder Kritik zu hören bekommen: Mal hieß es, er sei «zu hart», mal konnte er sich angeblich «nicht durchsetzen», mal war er «zu langsam», und jedenfalls, das schien festzustehen, sei er «keine Führungspersönlichkeit».
Manchmal flüsterten seine Gegenüber am Tisch, appellierten an seine Vernunft. Sie spielten «good cop – bad cop». Ein Spiel mit B.s Angst um seine Zukunft. Er dachte an die Eigentumswohnung, die noch nicht abbezahlt war, an seine Frau und an die beiden Kinder, für die er Verantwortung trug, und an seinen Ruf in seinem Heimatort.
In B.s Personalakte findet sich lediglich ein Verweis. Er wurde regelmäßig getestet, aber seine Vorgesetzte, obwohl sie sich zuletzt nach Kräften mühte, fand kaum etwas. In den 23 Jahren, die er für Aldi Süd als Filialleiter tätig sein durfte, hat er angeblich einmal Alkohol an eine Siebzehnjährige verkauft. B. hat sich aufgeopfert für Aldi, zeitweise vierzehn bis fünfzehn Stunden täglich gearbeitet, etliche unbezahlte Überstunden geleistet. Er sagt, er hätte sein letztes Hemd für das Unternehmen gegeben. B. hat die rüden Discounter-Umgangsformen erduldet, sich von Aldi-Prokuristen als «Drecksau» und «notgeiler Bock» beschimpfen lassen, weil jemand im Pausenraum eine
Bravo
liegen gelassen hatte.
Als sie ihn loswerden wollten, erhöhte der Discounter den Druck: B. bekam Sonderaufträge, seine Filiale unterlag verstärkten Kontrollen, er musste das Personal knapper einteilen. Seine Mitarbeiter, denen das nicht passte und die seine Anspannung bemerkten, wurden gegen ihn aufgewiegelt. Er habe sich verändert, er sei so hart und in anderen Filialen laufe es doch viel besser, brachte seine Vorgesetzte in Umlauf. Plötzlich tauchte da eine Mitarbeiterbeschwerde auf: ohne Namen, ohne Ort, ohne Datum. Sie liest sich nicht so, als hätte sie eine Aldi-Verkäuferin verfasst. B. hegt einen anderen Verdacht.
Im «Verhörraum» wurde er damit konfrontiert und musste sich erklären. B. bekam nichts zu essen. Erst auf nachdrückliches Verlangen wurde ihm nach Stunden schließlich ein Wasser gebracht. «Ich will die Trennung», brüllte der Aldi-Prokurist wieder und wieder. «Sie kommen hier nicht vorher raus! Hier geht es nur noch ums Geld.»
B. wollte seinen Anwalt anrufen, die Entscheidung vertagen, aber sie setzten ihn unter Druck. «Wir müssen das heute abschließen, vorher gehen wir nicht auseinander», wiederholten sie. Sie drohten ihm an, ihn in eine weiter entfernte Filiale zu versetzen, ihm ein schlechtes Arbeitszeugnis auszustellen, wenn er nicht unterschreibe. Sein Handy konnte er nicht benutzen. Schließlich gab es im «Verhörraum» keinen Einpfang. Also musste er das Festnetztelefon in der Ecke nehmen. Die Vorgesetzten verließen den Raum, aber B. ist sich sicher, dass sie mitgehört haben, während er sich mit seinem Anwalt beratschlagte. Er gab schließlich nach, unterschrieb einen Aufhebungsvertrag. Er wollte einfach raus, der Situation entkommen.
Solche Räume, in denen der Wille eines Menschen gebrochen und in denen Existenzen zerstört werden, gibt es schon lange bei Aldi. Hans W. weiß das nur zu gut. Seine Laufbahn endete bereits im Jahr 2000 , nach 27 Jahren als Filialleiter bei Aldi, aber die Auswirkungen spürt er noch heute.
Ich besuche ihn in einer Kleinstadt in der Region München. Er lebt dort mit seiner Frau Sigrid in einem gepflegten Wohnviertel, sie besitzen ein freistehendes Eigenheim, die Kinder sind schon ausgezogen. Auch Sigrid W. ist aus dem Häuschen, sie ist froh, endlich ihre Geschichte erzählen zu können. Hans W. hingegen wirkt gelassen. Er betont gleich zu Anfang, dass er mit Aldi schon lange abgeschlossen habe. Eigentlich. Er sei gern im Garten und habe die Malerei für sich entdeckt. Stolz zeigt er mir seine Bilder: Sie zeigen große Tiere mit erhobenem Haupt in idyllischen Berglandschaften, die er mit viel Liebe zum Detail oft bis spät in die Nacht hinein zur Entspannung gemalt hat. Auch Menschen sind darauf
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