Inside Aldi & Co.
wohl nicht ein, sie nennen jedenfalls keinen, sondern kommen auf das eigentliche Problem zu sprechen: Zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden offenbar in Wettbewerbergeschäften gesichtet und trauen sich gar, «ganz offen» darüber zu berichten. Auch Kolleginnen und Kollegen sowie den Marktleitungen falle auf, «in welchem Umfang» privat eingekauft werde. Wer mit Einkaufstüten der Wettbewerber unterwegs sei, schreiben die Geschäftsführer, lasse es nicht nur an Loyalität zum eigenen Unternehmen fehlen, das sei «sogar schon fast imageschädigend». Sie beenden ihren eindringlichen Brief mit dem Hinweis, dass alle davon profitierten, wenn das Unternehmen gesund sei. Bei Edeka auch privat einzukaufen sei also, und das klingt wie eine Drohung, «durchaus auch ein Beitrag zur Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes». Der Brief umfasst zwei Seiten, dabei hätte man doch alles in einem einzigen, klaren Satz sagen können: Kauft gefälligst bei uns ein, sonst werdet ihr privatisiert!
Der Brandbrief zum Jahreswechsel ist datiert auf den 15 . Januar 2013 . Nur wenig später, am 8 .März 2013 , wurde Edeka vom «unabhängigen CRF -Institut» zertifiziert und erhielt das Prädikat «Top-Arbeitgeber».
Von den mehr als drei Millionen Beschäftigten im deutschen Einzelhandel sind etwa zehn Prozent für die kompliziert strukturierte, seit über 100 Jahren bestehende Edeka-Gruppe tätig. Die genossenschaftliche Organisation bietet Schutz vor Übernahmeversuchen von Finanzinvestoren und schafft Stabilität. Laut Homepage betrieb Edeka Ende 2011 in Deutschland 8000 Vollsortimentmärkte, 6300 davon geführt von selbständigen Kaufleuten. Die gesamte Edeka-Gruppe, inklusive Großhandel und Discountbeteiligungen, erwirtschaftete 45 , 6 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2011 .
Seit mehr als dreißig Jahren betreibt Edeka sogenannte Regiefilialen, also Einzelhandelsbetriebe, die als Tochterunternehmen von Edeka-Regionalgesellschaften geführt werden. Sie dienen der Entwicklung und Stabilisierung des Konzerns. Neue Märkte sind oft mit hohen Anfangsinvestitionen verbunden, die private Betreiber nicht stemmen können, die Umsätze sind nicht genau kalkulierbar. Rechnet sich der Markt nach einiger Zeit, wird er verkauft. Geht ein Unternehmer pleite oder gibt er aus anderen Gründen seinen Markt auf, hat Edeka die Möglichkeit, ihn durch den Regiebetrieb am Netz zu halten.
Seit jeher sahen viele Einzelhändler die Regiebetriebe nicht nur als Assistenten, sondern auch als Konkurrenten, da sie im Konzern eine starke Position innehatten. Nun wird das Rad der letzten dreißig Jahre wieder zurückgedreht: die Regiebetriebe werden quantitativ weniger und verlieren ihre strategische Bedeutung. Die Edeka-Regionalgesellschaften sollen sich wieder auf ihre Großhandelsfunktion und die Belieferung der selbständigen Einzelhändler konzentrieren. Damit spiegelt Edeka den Trend der Zeit wider: Einerseits nutzt der Konzern zentrale Vorteile im Einkauf und in der Verwaltung, andererseits die Hemdsärmeligkeit und Geschäftstüchtigkeit mancher Unternehmer vor Ort.
In einer 2012 veröffentlichten Broschüre warf ver.di unter dem Titel «Schöne neue Handelswelt» einen Blick hinter die Kulissen des Unternehmens und kam zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass es dort düster aussieht. Die Gewerkschaft kritisiert die Politik, Märkte aus dem Regiebetrieb der Regionalgesellschaften an selbständige Einzelhändler abzugeben. Diese Privatisierungen bedeuteten für die Beschäftigten den Verlust von über die Jahre erworbenen Rechten und eine ungewisse Zukunft.
Mit dem Betriebsübergang sollen häufig die Discounter-Prinzipien eingeführt werden:
Teile des Personals werden rascher ausgetauscht, insbesondere unbequeme oder häufig kranke Mitarbeiter
Arbeitszeiten werden nicht mehr genau erfasst und flexibler gestaltet
Vollzeitstellen werden abgebaut oder in Teilzeitstellen umgewandelt
Befristungen und Minijobs gehören zur Normalität
Gehälter werden gekürzt
Ältere, teure Mitarbeiter werden durch junge, billigere ersetzt
Mehrarbeit wird gern als unentgeltlicher Beitrag zur Sicherung des Arbeitsplatzes gesehen
Freiwillige Leistungen werden gekürzt oder ganz abgeschafft.
Doch viele Beschäftigten akzeptieren diese verschlechterten Konditionen und die neuen Spielregeln im Zuge der Privatisierungen. Sie wollen in «ihrem» Markt bleiben. Der neue Eigner ist gleichzeitig oft Marktleiter und ständig vor Ort präsent. Wer nicht spurt,
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