Inside Aldi & Co.
aufgibt. Bis seine Existenz «im gegenseitigen Einvernehmen» zerstört ist.
An jenem Donnerstag, vier Wochen vor Weihnachten, als B. den «Verhörraum» verlassen hatte, rollte gegen 17 Uhr ein Taxi vom Hof der Aldi-Verwaltung in A. und brachte ihn wieder ins heimische Allgäu. Der Fahrer war schon im Voraus bezahlt, bei Aldi ist das perfekt organisiert. Er mache öfter solche Fahrten, sagte er.
Bei Aldi Nord, wo es immerhin einige Betriebsräte gibt, sind ähnliche Situationen bekannt. Aus «aktuellem Anlass» warnte beispielsweise der Betriebsrat Aldi Seevetal bei Hamburg am 12 . Juni 2012 seine Kollegen:
«Oft fanden diese Gespräche kurz vor Feierabend statt. In diesen Gesprächen wurden die Kolleginnen und Kollegen damit konfrontiert, was sie denn alles falsch machen.
Hier sind einige Beispiele von Aussagen der Vorgesetzten:
Unterschreiben Sie hier mal eben.
Macht Ihnen die Arbeit bei uns noch Spaß? Dies ist Ihre letzte Chance. Suchen Sie sich schon einmal einen neuen Job.
Wir kommen hier auf keinen gemeinsamen Nenner mehr. Ich gebe Ihnen 14 Tage Zeit, dann bin ich wieder da.
Wenn ich Ihnen beim Arbeiten zusehe, wird mir schlecht.
Soll mit solchen Aussagen der Druck auf die Mitarbeiter erhöht werden, um eventuell Ängste zu schüren? Innerhalb kürzester Zeit gab es für einige Kolleginnen und Kollegen mehrere Abmahnungen.»
Druck aufbauen, darum geht es.
Peter B., Hans W. und die vielen anderen: Es sind Geschichten aus unterschiedlichen Teilen Deutschlands und aus unterschiedlichen Zeiten, die doch so nah beisammenliegen. Die Protagonisten sind in einer Hinsicht dennoch Raritäten, denn so lange wie sie hält es kaum jemand bei Aldi aus. Und sie waren bereit, mir ihre Geschichten zu erzählen, und haben einer anonymisierten Veröffentlichung zugestimmt. Weshalb sie gehen mussten, wissen viele Aldi-Opfer bis heute nicht genau. Lag es an einer zu langen Krankheit, an der eigenen Meinung, am Führungsstil oder vielleicht einfach daran, dass sie zu alt und zu teuer für den auf niedrige Personalkosten erpichten Hochleistungsdiscounter geworden waren? Oder hat sie Aldi vollkommen zu Recht entlassen? Jedenfalls wurden alle Betroffenen, die sich an mich wandten, durch jüngere, billigere Nachwuchskräfte ersetzt, die sie zuvor noch teilweise selbst eingearbeitet hatten. Viele von ihnen hätten gerne weitergearbeitet. Aber viele sind nach der Entlassungs«prozedur» auch ausgebrannt, von der Situation überfordert und verursachen Kosten im Sozial- und Gesundheitswesen. Mit dem Rauswurf beginnt oft der soziale Abstieg. Deshalb tragen die Kosten einer solchen Personalpolitik nicht nur die Betroffenen, sondern am Ende die gesamte Gesellschaft.
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Dienst nach Vorschrift
Ein Blick in die Zentrale
Ausgerechnet in der Abteilung «Corporate Responsibility», also Unternehmensverantwortung, arbeitete Maria Z. bis vor kurzem bei Aldi Süd in der Mülheimer Zentrale. Und ja, diese Abteilung gibt es wirklich. Mehrere Mitarbeiter beschäftigen sich dort tagtäglich mit hölzernen Arbeitspapieren und bunten Powerpoint-Folien. Von einem Team spricht Maria Z. nicht so gern. Obwohl ihr schon im Bewerbungsgespräch mitgeteilt wurde, dass Beförderungen nach oben nicht vorgesehen seien, und sie nach wenigen Wochen dann auch merkte, dass sie «nicht weiterkommen» werde, blieb sie mit Rücksicht auf den Lebenslauf zwei Jahre.
Aldi Süd heuert Maria Z. zufolge auch für die Mülheimer Zentrale bevorzugt Berufsanfänger direkt von den Schulen und Unis an. Die höheren Manager sind Hausgewächse, die sich ihre Sporen in den Filialen verdienen mussten und in der Regel kaum ein anderes Unternehmen von innen gesehen haben. Doch während in den Märkten im Personalbereich teilweise Wildwuchs herrscht, mag man es in der Zentrale ganz genau. Die sachbearbeitenden Mitarbeiter haben unbefristete Verträge und arbeiten von exakt 7 .30 Uhr bis 16 .15 Uhr, an einem Tag die Woche nur bis 13 .15 Uhr. Überstunden sind verpönt, schon bei fünf Minuten müssen die Mitarbeiter mit ihren Vorgesetzten Rücksprache halten. Die Aufgaben sind ranghohen Insidern zufolge in der Regel inhaltlich anspruchslos strukturiert, es herrscht kaum Termindruck.
Aldi ist ein konservatives Unternehmen. Das ist per se nichts Schlechtes. Allmählich wandelt es sich, passt sich dem Zeitgeist an. Doch was Maria Z. im Frühjahr 2013 schreibt, ist kein Skandal, zeugt aber von einer grotesken, sektenähnlichen Firmenkultur
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