Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
wollte.
Achtunddreißig Minuten nach der Veröffentlichung twitterte Aaron Barr, LulzSec habe gestohlene Sony-Daten veröffentlicht. »Anscheinend handelt es sich um eine bedeutende Menge an Userdaten.« Innerhalb von fünfundvierzig Minuten hatten 15.000 Menschen die Nachricht gelesen, was einer Rate von achtzehn Lesern pro Sekunde entspricht, und 2.000 hatten sich das Paket mit Sony-Daten bei der Filesharing-Seite MediaFire heruntergeladen.
Topiary hatte keine Zeit, um sich zurückzulehnen und zuzusehen, wie sich die Sache entwickelte. Er und Tflow richteten die neue LulzSec-Website ein, mit einem Retro-Nyan-Cat-Design und den sanften Klängen des amerikanischen Jazzsängers Jack Jones, der das Titellied von Love Boat sang, im Hintergrund. Mitten auf der Homepage prangte der leicht geänderte Songtext von »Lulz Boat« in einfacher schwarzer Schrift. Über einen Link am unteren Rand wurde dem Besucher die Option geboten, den Ton abzustellen – in Wirklichkeit wurde bei einem Klick auf den Link die Lautstärke verdoppelt. Als Sabu die Website das erste Mal sah, fand er sie grässlich. Er schrie Topiary und Tflow an, dass ihre Kreation ein Ziel für DDoS-Angriffe bot und das Team schwach aussehen lassen konnte. Am Ende überzeugte Topiary ihn jedoch, die Website zu behalten.
In aller Eile stellten sie die Seite online und sorgten dann dafür, dass sie Tausenden Besuchern und den unvermeidbaren DDoS-Angriffen feindlicher Hacker standhielt. Sie kümmerten sich auch darum, dass die Torrent-Datei mit den Sony-Daten online blieb, dass keine weiteren Bitcoin-Spenden für LulzSec mehr eingingen (die sich bisher auf insgesamt 4 Dollar beliefen) und dass auch sonst alles reibungslos funktionierte.
Der Twitterfeed von LulzSec hatte inzwischen 23.657 Followers, und Dutzende neuer Leute strömten in den öffentlichen #LulzSec-Chatroom. Topiary ging zu Bett, konnte aber bei dem Gedanken daran, dass er alle zwei Minuten neue Tweets bekam, nicht einschlafen. Es war chaotisch, aber befriedigend. Er loggte sich jeden Tag mit wachsendem Selbstvertrauen bei Twitter ein, fertigte alle Kritiker mit vernichtenden Kommentaren ab und hielt das Interesse der Followers wach. Wenn LulzSec jetzt eine neue Operation ankündigte, kam diese Neuigkeit garantiert in die Nachrichten.
Oft mussten sie nicht einmal genau beschreiben, was sie vorhatten – die Medien und die Öffentlichkeit gingen oft davon aus, dass LulzSec mehr Schaden anrichtete, als es tatsächlich der Fall war. Aber mit den Erwartungen der Menschen stieg auch das Risiko. »Wir wollen keine Gruppe von Hackern sein, die einmal pro Woche eine Kleinigkeit veröffentlicht«, sagte Topiary damals. »Wir machen ab jetzt nur noch große Sachen … Es sei denn, wir finden jemanden, den wir nicht mögen.«
Eine dieser »großen Sachen« stand unmittelbar bevor. Es war an der Zeit für das LulzSec-Team, ihr Ass aus dem Ärmel zu ziehen und den Hackerangriff gegen Infragard anzukündigen. »Willkommen zum FickFBIFreitag, an dem wir viel Spaß mit dem FBI haben werden«, verkündete Topiary über Twitter. »Die genaue Zeit steht noch nicht fest, aber wir werden uns für heute Abend was Schönes ausdenken. <3.«
Während die Gruppe die Veröffentlichung der Infragard-Daten vorbereitete, konzentrierte sich ein kleiner Teil des Teams auf eine Person aus der Datenbank mit Usernamen und Passwörtern von der Website der FBI-Partnerfirma: ein IT-Sicherheitsunternehmer namens Karim Hijazi. Hijazi war fünfunddreißig Jahre alt und leitete ein Start-up-Unternehmen namens Unveillance. Das Team meldete sich mit Hijazis Infragard-Passwort erfolgreich bei seinem Gmail-Konto an und durchstöberte seine E-Mails auf der Suche nach Schmutzwäsche, die sie, wie bei Aaron Barr, an die Öffentlichkeit zerren konnten.
Sabu hasste White-Hat-Sicherheitsfirmen. Das war Topiary bekannt. Inzwischen sprach Sabu ihm gegenüber aber öfter als je zuvor über dieses Thema und davon, die Anti-Security-Bewegung zu neuem Leben zu erwecken. Sabus Abneigung gegen White-Hat-Hacker reichte weit zurück. Richtig in Fahrt kam die Anti-Security-Bewegung im Jahr 1999. Damals gab es ein Sicherheitsleck auf den weit verbreiteten Solaris-Servern, das nur wenigen Hundert Hackern weltweit bekannt war, die sich dadurch bei vielen verschiedenen Firmen und Organisationen einhacken konnten. Dann begannen die Hacker, E-Mails von White-Hat-Sicherheitsfirmen zu stehlen. Der Grund dafür war das neue Prinzip der vollständigen Offenlegung
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