Kreditbanken in den 1980er Jahren – ein Skandal, dessen Dimension sich nach heutigen Maßstäben geradezu drollig ausnimmt – sah der Banker Charles Keating sich von einem Ausschuss des Kongresses gefragt, ob die 1,5 Millionen Dollar, die er unter einigen vom Volk gewählten Amtsinhabern in Schlüsselpositionen verteilt hatte, tatsächlich Einfluss zu kaufen vermochten. ›Ich hoffe doch‹, antwortete er. Das Persönliche und das Politische sind heute perfekt aneinander ausgerichtet. Praktisch alle amerikanischen Senatoren sowie dergrößte Teil der Abgeordneten im Repräsentantenhaus gehören bei Amtsantritt zum obersten 1 Prozent; sie bleiben im Amt durch das Geld des obersten 1 Prozent, und sie wissen, wenn sie dem obersten 1 Prozent gut dienen, werden sie von diesem obersten 1 Prozent nach Ablauf ihrer Amtszeit belohnt.« 8
Da dieses eine Prozent effektiv auch das ist, was wir als »Wall Street« bezeichnen, kam mir der Gedanke, das Einfachste wäre doch, zu sagen, dass wir alle anderen sind. Rasch warf ich hin, was sich womöglich als die wichtigste E-Mail meines Lebens erweisen wird:
From: David Graeber
[email protected] Subject: Re: [september17discuss] Re: [september17] Re: a SINGLE DEMAND for the occupation?
Date: August 4, 2011 4:25:38 PM CDT To:
[email protected] Wie wär’s mit »99%-Bewegung«?
Beide Parteien regieren im Namen der 1% Amerikaner, in deren Taschen praktisch alle Erträge des Wirtschaftswachstums geflossen sind, die die Einzigen sind, die sich von der Rezession von 2008 völlig erholt haben, die das politische System kontrollieren, die fast den gesamten finanziellen Reichtum kontrollieren.
Wenn also beide Parteien diese 1% vertreten, dann vertreten wir die 99%, deren Leben im Wesentlichen außen vor bleibt.
David
Tags darauf, am Freitag, dem 5. August, sollte sich die Gruppe Öffentlichkeitsarbeit Downtown in den Räumen der Writer’s Guild treffen, wo mein alter Freund Justin Molino arbeitet. Die Idee mit den 99 Prozent schien allgemein zu gefallen.
Vorsichtig äußerte man einige Bedenken: »Hat sich nicht schon mal jemand an einer ›The Other 98%‹-Kampagne versucht?«
»Oh, du meinst die Gruppe von Andrew Boyd?«
»Ja.«
»Ich glaube nicht, dass das wirklich eine große Rolle spielt. Ich meine, die Idee bietet sich schließlich irgendwie an …«
»Weshalb sie ja womöglich tatsächlich funktioniert.«
»Jedenfalls können wir sagen, dass wir sogar noch mehr Leute einschließen.«
Natürlich war die Idee kaum grundlegend neu. Wahrscheinlich ging einer ganzen Menge Leute damals etwas um den Dreh durch den Kopf. Aber wie sich herausstellte, zogen eben wir die Geschichte zufällig genau zur rechten Zeit am rechten Ort auf. Es dauerte nicht lange, und Georgiasaß zusammen mit Luis und Begonia, zwei der spanischen Indignados, über einem – unserem ersten – Flyer, um die Trommel für die Vollversammlung am Dienstag zu rühren, die der eine oder andere bereits als »VV« zu bezeichnen begann:
[Bild vergrößern]
Beide Parteien regieren im Namen der 1 % Amerikaner, in deren Taschen praktisch alle Erträge des Wirtschaftswachstums geflossen sind, die die Einzigen sind, die sich von der Rezession von 2008 völlig erholt haben, die das politische System kontrollieren, die fast den gesamten finanziellen Reichtum kontrollieren.
Wir, die 99 %
fühlen uns von keiner politischen Partei vertreten,
und so rufen wir auf zu einer
offenen Vollversammlung
am Dienstag, 9. August, 18.30 Uhr
am Potato Famine Memorial
Vesey St. Ecke North End Ave.
Da die Diskussion um den Ursprung des Slogans »Wir sind die 99 Prozent« solche Ausmaße angenommen hat, sei für die Historiker hier vermerkt, dass es sich – passenderweise – um eine gemeinschaftliche Kreation handelt. Ich habe die 99 Prozent in die Runde geworfen, Begonia und Luis haben das »wir« eingebracht, und das Verb kam schließlich von Chris (von Food Not Bombs), als er sich einen Monat später die Tumblr-Page »We Are The 99%« einfallen ließ.
Meetings
Zur nächsten VV erschien auch Marisa, und während der Arbeitsgruppe kam uns die Idee, eine Trainingsgruppe zu initiieren. Es wurde schnell deutlich, dass in unserer Gruppe, die hauptsächlich aus jungen Aktivisten bestand, die sich ihre ersten Sporen mit Bloombergville verdient hatten, bei allem Enthusiasmus für Konsensverfahren und direkte Aktion kaum jemand konkrete Erfahrungen mit beidem hatte. Das Verfahren war zunächst ein Desaster –