Inside Occupy
realisieren. Als Modell dient das spanische, wo die Leute, nicht die politischen Parteien und Organisationen, alle Entscheidungen getroffen haben. Die »Vollversammlung«, auf der du warst, hat eine unabhängige Gruppe aufgezogen – die Gruppe, die auch hinter No Cuts NYC und Bloombergville stand (einem Anti-Cuts-Protestcamp, das so um die zwei Wochen ging). Kontakt hatte ich mit »Doug Singsen« von No Cuts NYC. Ich weiß nichts weiter über Doug und auch nicht, weshalb die Versammlung von der Workers World Party übernommen wurde oder ob das von Anfang an so beabsichtigt war …
Micah
Wie sich schließlich herausstellte, war
Adbusters
reingefallen; man hatte keine Ahnung gehabt, wer dem Aufruf gefolgt war. Ich verbrachte den Rest des Tages damit, E-Mails zu verschicken und Leute anzurufen in dem Versuch, dahinterzukommen, was genau da nun lief. Offensichtlich hatte
Adbusters
einfach eine Idee ausgestreut. Was man schon oft gemacht hatte, aber diesmal schienen sich die Idee, unabhängig voneinander, die verschiedensten Gruppen krallen zu wollen. Aber wir waren es schließlich, die vor Ort die Organisation übernahmen. Schon tags darauf stand die Mailingliste, und alle, die beim ersten Meeting mit von der Partie gewesen waren, begannen sich Gedanken darüber zu machen, wer wir eigentlich waren, wie wir uns nennen sollten, worum es uns eigentlich ging. Einmal mehr begann alles mit der Frage nach unserer zentralen Forderung.
Man warf einige erste Ideen in die Runde: Streichung von Schulden? Änderung der Zulassungsgesetze für Versammlungen hin zu echter Versammlungsfreiheit? Abschaffung der Persönlichkeitsrechte von Unternehmen? Matt Presto machte dem praktisch ein Ende mit seinem Hinweis darauf, dass es im Grunde zwei verschiedene Arten von Forderungen gibt. Die einen waren tatsächlich durchsetzbar wie etwa
Adbusters’
Vorschlag, einen Ausschuss einzuberufen, der die Wiedereinführung des Glass-Steagall Act prüfen sollte – ein Gesetz aus der Depressionsära, das Einlagen- und Kreditbanken die Spekulation mit Wertpapieren verboten hatte und das von Bill Clinton aufgehoben worden war. Womöglich einegute Idee, das schon, aber würde wirklich jemand wegen der Einberufung irgendeines Ausschusses Übergriffe und Festnahme riskieren? Dann gibt es noch die Art von Forderungen, die man stellt, weil man weiß, dass sie – obwohl eine überwiegende Mehrheit von Amerikanern sie für eine gute Idee hält – unter der bestehenden politischen Ordnung null Chance haben. Ich nenne hier nur die Abschaffung des Firmenlobbyings. Aber war es wirklich unsere Aufgabe, uns eine Vision für eine neue politische Ordnung einfallen zu lassen oder dem Rest der Welt dabei auf die Sprünge zu helfen?
Damit schien das Thema für die meisten von uns erledigt, aber es tat sich eine andere Frage auf: Wer waren wir überhaupt? Bislang waren wir im Grunde nichts weiter als eine Gruppe von Leuten, die zu einem Meeting gekommen waren. Wir konnten die Leute schlecht auffordern, sich uns anzuschließen, wenn wir selbst nicht wussten, wer wir eigentlich sein wollten. Und natürlich hat diese Frage wiederum alles damit zu tun, gegen wen man sich definiert.
Ich hatte in dem Sommer praktisch ununterbrochen Interviews zum Thema Schulden gegeben, da ich gerade mein Buch
Debt. The First 5000 Years
veröffentlicht hatte; ich sah mich sogar hin und wieder von Größen wie CNN, dem
Wall Street Journal
, ja selbst den
Daily News
um meine Meinung gebeten (oder wenigstens auf deren Blogs; selten, dass ich tatsächlich in einer Sendung oder Printmedien in Erscheinung trat). Ich hatte also der Debatte um die amerikanische Wirtschaft zu folgen versucht. Oder wenigstens seit Mai, als
Vanity Fair
eine Kolumne mit dem Titel »Of the 1%, by the 1%, for the 1%« des Wirtschaftswissenschaftlers Joseph Stiglitz gebracht hatte. Danach war allenthalben davon die Rede, dass ein oder zwei Prozent der Bevölkerung einen stetig wachsenden Teil des nationalen Wohlstands an sich gerissen hatten, während das Einkommen aller anderen entweder stagnierte oder effektiv sogar sank.
Was mir bei der Argumentation besonders auffiel, war die Frage der Macht: der Umstand, dass das besagte Prozent die Regeln dafür schafft, nach denen das politische System funktioniert, was zur Folge hat, dass es heute auf legalisierter Bestechung basiert. Stiglitz dazu:
»Reichtum gebiert Macht, die mehr Reichtum gebiert. Während des Skandals um Einlagen- und
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