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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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Gefängnis. Wer nach der High School in die Arbeitswelt eintrat, konnte praktisch damit rechnen, in einem Job zu landen, in dem er weniger verdiente als seine Eltern und vor allem weniger Leistungen bekam. (1989 bekamen fast 63,4 Prozent der High-School-Absolventen einen Arbeitsplatz mit betrieblichen Gesundheitsleistungen; heute, zwanzig Jahre später, sind es gerade mal 33,7 Prozent.) Wer mit College- oder Universitätsabschluss ins Arbeitsleben trat, konnteso lange mit einer besseren Stelle rechnen, wie es noch Stellen gab. Da die Kosten für eine höhere Schuldbildung in einem Tempo gestiegen sind wie die keines anderen Gebrauchsguts in der amerikanischen Geschichte, stehen nach dem Abschluss nun immer mehr Absolventen mit einer erdrückenden Schuldenlast da. 1993 beendeten weniger als die Hälfte das College verschuldet; heute sind es über zwei Drittel, im Grunde alle außer den Privilegiertesten.
    Die unmittelbare Folge dieses ökonomischen Drucks ist, dass ein Gutteil dessen, was einmal das Wertvollste an der College-Erfahrung war, vernichtet worden ist. Einst wurde von den einzigen vier Jahren wahrer Freiheit im Leben eines Amerikaners gesprochen, einer Zeit, in der man nach Wahrheit, Schönheit und Erkenntnis um ihrer selbst willen strebte sowie mit den bunten Möglichkeiten des Lebens experimentierte. Mit einem Mal hatte sich das alles der Logik des Markts unterzuordnen – und das gnadenlos. Verkörperten Universitäten ehedem das Ideal eines wahren Wohlstands, der die Mittel und die Muße gewährleistete, zur Bildung und über diese zu einem Verständnis der Welt zu gelangen, ist Bildung nunmehr nur noch als Mittel zum Streben nach materiellem Wohlstand zu rechtfertigen. Wer in der höheren Bildung etwas anderes sieht als eine wohlkalkulierte Investition, wer sich wie diese Frau, die ich in dem linken Buchladen getroffen hatte, trotz eines unsicheren Arbeitsmarkts erdreistet, zu unserem Verständnis der lyrischen Befindlichkeit englischer Renaissance-Dichtung beitragen zu wollen, bezahlt dafür mit einiger Wahrscheinlichkeit einen hohen persönlichen Preis.
    Unter normalen Umständen freilich dürfte die Not eines verschuldeten College-Absolventen ein, sagen wir mal, Gewerkschaftsmitglied der New Yorker Verkehrsbetriebe wohl kaum interessieren. Und dennoch hat die Gewerkschaft sich nicht nur hinter die Besetzer gestellt, sondern sogar die New Yorker Polizei wegen der Beschlagnahme ihrer Busse für die Massenverhaftungen von OWS-Aktivisten bei der Blockade der Brooklyn Bridge verklagt. Was uns zur dritten Frage bringt.
    Die Resonanz
    3. Frage:
Warum stößt der Protest gebildeter, aber verschuldeter junger Menschen auf eine derartige Resonanz bei der amerikanischen Arbeiterklasse – eine Resonanz, wie sie mit Sicherheit 1967, ja selbst 1990 noch undenkbar gewesen wäre?

    Zum Teil liegt das womöglich daran, dass die Grenzen zwischen Studenten und Arbeitern nicht mehr so deutlich gezogen sind. Die meisten Studenten müssen wenigstens zeitweise einer bezahlten Arbeit nachgehen. Darüber hinaus ist zwar die Zahl der College-Studenten in den letzten zwanzig Jahre beträchtlich gestiegen, aber die Zahl der College-Absolventen in etwa gleich geblieben. Infolgedessen füllen sich die Reihen der
working poor
, der Erwerbsarmen, zunehmend mit Studienabbrechern, die sich den Abschluss nicht leisten konnten, aber immer noch für ihre Hochschuljahre zahlen und davon träumen, es eines Tages noch einmal anzugehen. Oder sie machen mit einer Mischung aus Teilzeitjob und Teilzeitstudium weiter, so gut es eben geht.
    Auf meinen Artikel im
Guardian
fand sich in der Kommentarspalte die übliche Masse abschätziger Bemerkungen. Es handle sich da um einen Haufen verhätschelter Kinder, die anderen auf der Tasche lägen. Einer der Kommentatoren kam nicht darüber hinweg, dass auf Pressefotos Besetzerinnen mit pinkfarbenen Haaren zu sehen waren; es galt ihm als Beweis für ein Leben im privilegierten Kokon – im Gegensatz zu dem Leben »richtiger« Amerikaner. Wohlgemerkt: Der
Guardian
erscheint in London, die Kommentatoren waren daher Briten, und sie konnten unmöglich viel Zeit in New York verbracht haben. Dann wäre ihnen etwas aufgefallen. So, wie bestimmte Stile, die man in den Sechzigern mit den Hippies verband – lange Haare, Haschpfeifen, zerrissene T-Shirts –, Anfang der 80er Jahre in einem Gutteil der amerikanischen Kleinstädte zu einer Art Uniform gelegentlich arbeitender Jugendlicher geworden waren, so ist

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