Inside Occupy
bei ihren Pendants in den Großstädten heute der Stil der Punk-Bewegung aus den 80er Jahren – pinkfarbene Haare, Tätowierungen, Piercings – tonangebend. Man braucht sich nur die Leute anzusehen, die einem die Möbel transportieren, den Kaffee zubereiten, die Päckchen zustellen.
Dass die Antipathie zwischen »Hippies« und »Malochern« der 60er Jahre einer prekären Allianz gewichen ist, begründet sich also teils im Überwinden kultureller Barrieren, teils auch in der sich ändernden Zusammensetzung der Arbeiterklasse selbst. Aber ich vermute da ein weiteres, noch bedeutsameres Element. Und das ist ein grundlegender Wandel des Kapitalismus.
Natürlich ist in den letzten Jahren viel die Rede vom neuen Finanzmarkt-Kapitalismus oder von der »Finanzialisierung« des Kapitalismus, wie das der brasilianische Wirtschaftswissenschaftler (und ehemalige Finanzminister) Luiz Carlos Bresser-Pereira genannt hat. Ja, einige seiner Adepten sprechen sogar von der »Finanzialisierung des Alltagslebens«. In Amerika – wie auch in Europa – geht damit die Deindustrialisierung einher. Die amerikanische Wirtschaft ist nicht länger vom Export getrieben, die USA
konsumieren
Produkte, die hauptsächlich im Ausland hergestellt werden und die wir – unter Rückendeckung des nach wie vor formidablen militärischen Übergewichts unsere Landes – mit diversen Formen finanzieller Manipulation bezahlen. Man spricht in diesem Zu sammenhang für gewöhnlich von der beherrschenden Rolle des sogenannten FIRE-Sektors: von der Dominanz der Geldwirtschaft (
finance
), der Versicherungen (
insurance
) und Immobilien (
real estate
). So haben sich zum Beispiel allein die Profite des ersten Bereichs, dem des Finanz sektors , seit den 60er Jahren verdreifacht:
Und da sie nur die reinen Finanzunternehmen berücksichtigen, greifen derartige Aufstellungen beträchtlich zu kurz. Denn während der letzten Jahrzehnte sind fast alle Hersteller auch ins Finanzgeschäft eingestiegen und verdanken diesem Geschäftszweig einen erheblichen Teil ihrer Profi te . Und umgekehrt lag der Grund für den Kollaps der Automobilindustrie während der finanziellen Kernschmelze von 2008 darin, dass Ford und General Motors zu dem Zeitpunkt den Löwenanteil ihrer Gewinne bereits seit Jahren nicht mehr mit der Herstellung, sondern mit der Finanzierung von Autos machten. Selbst General Electric verdiente die Hälfte seines Profits im Finanzbereich. Damit dürften 2005 statt der genannten 38 Pro zent eher 50 Prozent der Profite dem Finanz- und nur noch 7 oder 8 Pro zent dem industriellen Bereich entstammen.
Man hat uns beigebracht, die Eisenhower-Ära mit dem berühmten Satz »Was gut ist für General Motors, ist gut für Amerika« zu verbinden. 9 Rückblickend ist das vernünftiger, als es sich zunächst anhört. Damals sorgte die Automobilindustrie für ungeheure Profite. Deren Lö wenanteil floss in Form von Steuern direkt in die Staatskasse. Man muss sich das einmal vorstellen: Der höchste Unternehmenssteuersatz lag unter Eisenhower bei 52 Prozent und der höchste persönliche Steuersatz, den etwa die Großkopferten auf den Chefetagen zu berappen hatten, bei 91 Prozent. Damals verdankte sich der größte Teil der Staatseinkünfteden Unternehmenssteuern. Der hohe Steuersatz animierte die Konzernleitungen tendenziell zu höheren Löhnen: Warum sollte man die Profite nicht besser unter den Arbeitern verteilen, was einem deren Dankbarkeit und Loyalität einbrachte, wenn es ansonsten der Staat nehmen würde? Dieser benutzte die Steuereinnahmen dazu, Brücken, Highways und Tunnel zu bauen. Von diesen Baumaßnahmen profitierte nicht nur wiederum die Autoindustrie, sie schufen darüber hinaus auch noch Arbeitsplätze und gaben Unternehmern mit Staatsaufträgen die Möglichkeit, die Politiker, die die Beute verteilten, mit saftigen Schmiergeldern und Provisionen zu bereichern. Es gab eine ganze Reihe dieser Engelskreise, die einander verstärkten.
Ein halbes Jahrhundert später leben wir eindeutig in einem anderen wirtschaftlichen Universum. Die in der industriellen Fertigung möglichen Profite sind geschrumpft. Löhne und Sozialleistungen stagnieren oder schrumpfen; die Infrastruktur bröckelt ab. Eine Folge dessen, dass in den 80er Jahren der Kongress die Wuchergesetze abschaffte. Das stieß die Tür zu einem Amerika auf, in dem Gerichte und Polizei zu Vollstreckern von Kreditarrangements wurden, die (mit bis zu 300 Prozent Zinsen jährlich) zuvor bestenfalls beim
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