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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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organisierten Verbrechen zu finden waren. Und es erlaubte auch praktisch jedem Unternehmen, ins Finanzgeschäft einzusteigen.
    Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Sprache, deren wir uns hier bedienen, zutiefst trügerisch ist. So sprechen wir zum Beispiel hinsichtlich der Gesetzesänderungen im Finanzbereich von »Deregulierung« und vom »schlanken« Staat, der sich aus den Märkten herauszuhalten habe. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Indem er jedem Unternehmen in den Finanzsektor einzusteigen erlaubte, gewährte der Staat ihnen das Recht, Geld zu schöpfen bzw. zu schaffen. Was daher kommt, dass Banken – und andere Geldverleiher –, allgemein gesprochen, kein Geld verleihen, das sie bereits haben. Sie schaffen bzw. schöpfen Geld durch Kreditvergabe (Giralgeld). Der Staat verlieh also Unternehmen wie General Motors eine Macht, die einst den Banken vorbehalten war, die dem Federal Reserve System bzw. Zentralbank-System der USA angehören. Die frisch verliehene Macht ermöglichte es diesen Unternehmen, Geld durch die Vergabe von Krediten an Autokäufer zu schöpfen und dadurch fast ihren ganzen Profit mit Zinsen sowie Verzugs- und Bearbeitungsgebühren zu machen. Gleichzeitig bezahlen Großkonzerne, also unter anderem General Motors und General Electric, ebenso wie die größten Banken in den meisten Fällen praktisch überhaupt keine Bundessteuern mehr. Soweit ihre Profite überhaupt an den Staat gehen, geschieht das in Form von Bestechungsgeldern, die – jetzt als »Firmenlobbying« – direkt an Politiker gezahlt werden, damit diese weitere, nichtselten von den Unternehmen selbst vorformulierte Gesetze verabschieden, die den Unternehmen noch größere Gewinne bescheren. Und da dem Fiskus irgendwann keine nennenswerten Einkünfte in Form von Unternehmenssteuern mehr zuflossen, verlegte sich auch der Staat zunehmend darauf, den Bürgern – über die Einkommensteuer – das Geld aus der Tasche zu ziehen.
    Mir leuchtet nicht mehr so recht ein, wie wir angesichts dieser Verhältnisse noch von »Kapitalismus« sprechen können. Als ich auf dem College war, hat man mir beigebracht, Kapitalismus sei ein System, in dem private Firmen dadurch Profit machen, dass sie Leute einstellen, um etwas zum Verkaufen zu produzieren; Systeme, in denen die Big Player anderen – durch Androhung von Gewalt – den Wohlstand direkt aus der Tasche zogen, nannte man »feudalistisch«. 10 Dieser Definition zufol ge nimmt sich das, was wir »Wall Street« nennen, zunehmend wie eine bloße Clearingstelle für den Handel mit und die Übertragung von Feudalrenten aus – oder, um es weniger fein auszudrücken, wie eine Räuberhöhle –, während es echte Kapitalisten zunehmend nur noch in Indien, Brasilien oder im kommunistischen China gibt. Mit der Krise von 2008 hat der Staat klargemacht, dass er nicht nur willens ist, systemrelevanten Unternehmen – solchen, die zu groß zum Scheitern sind – das Recht zum Gelddrucken zu verleihen, sondern auch selbst schier unbegrenzte Summen zu schöpfen, um diese Unternehmen herauszuhauen, sollten sie die Karre mal durch die Vergabe korrupter bis schwachsinniger Kredite trotzdem in den Dreck fahren. Wenn nun Institutionen wie die Bank of America, obwohl sie eben noch die Weltwirtschaft in den Abgrund gefahren haben, nach Belieben Geld unter eben jenen Politikern verteilen dürfen, die sie mit ihrem Votum gerettet haben, um sich weiterhin von ihren Lobbyisten eben jene Gesetze schreiben lassen zu können, die sie eigentlich »regulieren« sollten, dann ist nicht ganz zu erkennen, warum solche Firmen heutzutage nicht als Teil der Bundesregierung zu sehen sein sollten – abgesehen vielleicht von der Einschränkung, dass die ihren Profit nicht behalten darf.
    Die Feststellung, wie viel vom Einkommen des Normalbürgers dieses räuberische System tatsächlich verschlingt, ist außerordentlich schwierig, aber meines Erachtens entscheidend. Riesige Anteile davon sind irgendwo als Gebühren und, vor allem, als Strafen versteckt. Ich erinnere mich noch, wie ich mir von einem Verkäufer im New Yorker Kaufhaus Macy’s eine Kundenkarte aufschwatzen ließ, um die 120 Dollar für eine Ray-Ban-Sonnenbrille zu bezahlen. Ich schickte zwar einen Scheck, bevor ich ins Ausland abreiste, hatte mich aber offensichtlich bei der Steuer um 2,75 Dollar verrechnet. Als ich einige Monate später zurückkam, hatten sich um die 500 Dollar an Verzugszinsen angesammelt. Wir rechnen dieseZahlen

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