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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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für gewöhnlich nicht mit ein, weil wir sie, mehr noch als Schulden, als Sold unserer eigenen Sünden sehen; wir bezahlen sie nur, weil wir etwas falsch gemacht haben (in meinem Fall habe ich mich verrechnet und es versäumt, mir die Abrechnungen nach Übersee nachschicken zu lassen). Genaugenommen ist aber das ganze System mittlerweile darauf ausgerichtet, uns zu solchen Fehlern zu verleiten, schließlich hängt das ganze System der Konzernprofite von ihnen ab.
    Wie viel vom Lebenseinkommen eines durchschnittlichen Amerikaners landet wohl in Form von Zahlungen für Zinsen, Bußen, Gebühren, Versicherungen, Provisionen und so weiter bei den Finanzdienstleistern? Es gibt darüber schlicht keine Zahlen. (Das allein schon sollte aufhorchen lassen, da Zahlen praktisch über so gut wie alles zu haben sind.) Aber man kann sich eine Vorstellung davon verschaffen. Der Statistik über die disponiblen Haushaltseinkommen der US-Notenbank zufolge blättert der amerikanische Durchschnittshaushalt etwa 18 Prozent seines Einkommens für den Schuldendienst – Kredite und ähnliche Verpflich tungen – hin. Diese Zahl ist in vieler Hinsicht unzureichend, weil sie zwar Kapital- und Zinszahlungen sowie Immobiliensteuern enthält, nicht aber Straf- und andere Gebühren, aber sie gibt uns doch so eine Art Hausnummer.
    Wie auch immer, es bedeutet, dass die meisten Amerikaner bereits einen von fünf Dollar, die sie verdienen, auf die eine oder andere Weise in der Wall Street abliefern. Aber natürlich gibt es den »Durchschnittsamerikaner« gar nicht; die Raubzüge der Finanzindustrie treffen bei Weitem nicht alle gleich. Zunächst einmal wird ein erklecklicher Teil dieses Geldes einfach von der Chefetage der Finanzdienstleister eingesteckt (all die Boni für Banker etc.), während ein weiterer Teil in Form von Dividenden abgezweigt wird. Die allerdings nicht jeder bekommt. Vor dem Crash war man der Auffassung, jeder würde von dem Deal profitieren, der Kapita lismus würde zum Volksunternehmen, an dem alle Amerikaner – etwa über Kapitalanlagen, Ruhestandskonten und Pensionsfonds – partizipieren. Dabei war das schon immer eine maßlose Übertreibung, aber seit dem Crash hört man nicht mehr viel davon. Heute ist das Profitsystem wieder das, was es immer gewesen ist: eine Methode, um das Geld an die an der Spitze der Nahrungskette umzuverteilen. Infolgedessen wird kaum ein reicher Amerikaner sein Einkommen an die Wall Street verlieren; die meisten stehen über ihre Investments als Nettogewinner da, selbst wenn sie selbst nicht im Finanzsektor tätig sind.
    Die am unteren Ende der finanziellen Nahrungskette andererseits – und das trifft auf alle zu, egal welcher Rasse, Klasse, welchen Alters oder Geschlechts – zahlen ausnahmslos drauf. 2004 zum Beispiel wendeten die 18- bis 24-Jährigen 22 Prozent ihres Einkommens für den Schuldendienst 11 auf – etwa ein Fünftel zahlten über 40 Prozent; und für die 25- bis 34-Jährigen, die vor allem von den Studienkrediten betroffene Gruppe, sah es noch schlimmer aus – sie wandten ein Viertel ihres Einkommens für den Schuldendienst auf. Und diese Zahlen gelten auch für die jüngeren Amerikaner insgesamt, unabhängig von ihrem Bildungsstand.
    Um es noch einmal zu sagen: All das galt vor dem Crash!
    Im unmittelbaren Gefolge der Ereignisse von 2007 begann jeder Amerikaner, der seine Schulden – und damit den Anteil seines Einkommens, den die Wall Street abschöpft – nur irgendwie reduzieren konnte, dies auf der Stelle zu tun. Das dürfte einem eine gewisse Vorstellung davon geben, wie dramatisch die Veränderung war.
    Nur sind bestimmte Arten von Kredit eben so eingerichtet, dass dies gar nicht möglich ist. Zum Beispiel ist es prinzipiell durchaus möglich, seine Hypothek neu auszuhandeln. Versucht man das hingegen bei einem Studienkredit, muss man zur Strafe mit hoher Wahrscheinlichkeit Tausende Dollar auf die ursprüngliche Kreditsumme drauflegen. Als Folge davon steigen die Schulden der Studenten weiter in schwindelerregendem Maße an. Deren Summe hat längst schon die Summe aller Kreditkartenschulden und jüngst auch die der Hypotheken überstiegen.
    Die andere Gruppe, die derweil der Falle nicht zu entkommen vermag, sind – Sie haben es erraten – die Erwerbsarmen, vor allem arbeitende Frauen und Farbige, denen die Finanzindustrie nach wie vor große Brocken ihres ohnehin schon stagnierenden Einkommens direkt abschöpft. Man bezeichnet sie oft als »Subprimer«, da die, die ihr

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