Inside Occupy
Wahlkampf richtete sich ganz bewusst an die progressive Jugend, und das mit spektakulären Resultaten. Drei Jahre später kann man sich kaum noch daran erinnern, dass Obama nicht nur als Kandidat des »Change« angetreten war, sondern auch rhetorisch mit vollen Händenaus dem Sprachschatz radikaler Bewegungen schöpfte: »Yes we can!«, »Sei du die Wende!« Und als ehemaliger Sozialarbeiter und Mitglied der linken New Party war er einer der wenigen Kandidaten der jüngeren Geschichte, von dem sich sagen lässt, dass er nicht aus einem verrauchten Herrenclub, sondern aus dem Hintergrund eines sozialen Engagements hervortrat. Darüber hinaus zog er seine Wahlkampagne an der Basis wie eine soziale Bewegung auf. Anstatt Telefonarbeit zu leisten oder von Haus zu Haus zu gehen, sahen junge Freiwillige sich angehalten, nachhaltige Bewegungen zugunsten progressiver Anliegen – Unterstützerstreiks, Armentafeln, Umweltinitiativen – auf die Beine zu stellen, die noch lange nach der Wahl Bestand hätten. Was den jungen Leuten im Verein mit dem Umstand, dass Obama der erste afroamerikanische Präsident der USA sein würde, das Gefühl gab, an einem wahrhaft transformativen Augenblick in der amerikanischen Politik teilzuhaben.
Zweifelsohne hatte keiner der jungen Leute, die sich mehr oder weniger aktiv für Obama einsetzten, eine konkrete Vorstellung davon, wie diese Umgestaltung tatsächlich aussehen sollte. Den meisten von ihnen jedoch ging es um wahrhaft grundlegende strukturelle Veränderungen in der amerikanischen Demokratie. Vergessen wir nicht, dass das alles in einem Land passierte, in dem der Rahmen des akzeptablen politischen Diskurses – der Rahmen dessen, was Politiker oder Kommentatoren sagen dürfen, ohne sich gleich als Spinner abgeschrieben zu sehen – so eng gesteckt ist, dass weite Teile der Bevölkerung ihre Ansichten erst gar nicht ausdrücken wollen.
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie radikal der Unterschied zwischen akzeptabler Meinung und den tatsächlichen Gefühlen des amerikanischen Wählers ist, brauchen wir nur zwei Rasmussen-Umfragen zu nehmen, die eine aus dem Dezember 2008, gleich nach Obamas Wahl, die zweite aus dem April 2011. Eine repräsentative Auswahl von Amerikanern wurde befragt, welches Wirtschaftssystem sie bevorzugten: Kapitalismus oder Sozialismus? 2008 waren 15 Prozent der Bevölkerung der Ansicht, dass die USA mit einem sozialistischen System besser dran wären; drei Jahre später fand das einer von fünf. Noch bemerkenswerter sah das nach Altersgruppen aufgeschlüsselt aus: Je jünger der Befragte, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass ihm die Vorstellung, den Rest seines Lebens in einem kapitalistischen System zu verbringen, missfiel. Nach wie vor bevorzugte zwar eine Mehrheit der Amerikaner zwischen 15 und 25 den Kapitalismus, nämlich 37 Prozent im Gegensatz zu 33 Prozent, denen der Sozialismus lieber gewesen wäre. (Die restlichen 30 Prozent waren sich nicht sicher.) Aber man überlege mal, was das in diesem Zusammenhang bedeutet. Es bedeutet, dass fast zwei Drittel der amerikanischen Jugend es sich wenigstens überlegen würden, daskapitalistische System in Bausch und Bogen über Bord zu werfen! Für ein Land, in dem es die meisten Menschen via TV nur mit Politikern und Kommentatoren zu tun haben, die den Begriff »Sozialismus« stets als Schimpfwort verwenden, ist das ganz außergewöhnlich. Zugegeben, aus demselben Grund lässt sich kaum sagen, was die jungen Leute, die den »Sozialismus« vorziehen würden, denn tatsächlich darunter verstehen. Gewiss kein Wirtschaftssystem nach dem Modell Nordkoreas. Aber welches dann? Schweden; Kanada? Bloß spielt das in gewisser Hinsicht auch gar keine Rolle. Die meisten Amerikaner mögen sich nicht sicher sein, was Sozialismus tatsächlich bedeutet, aber sie wissen eine Menge über den Kapitalismus, und wenn »Sozialismus«
etwas
bedeutet, dann eben irgendwas anderes, eigentlich fast schon egal, was, nur eben nicht das! 15
2008 stimmten mehr als zwei Drittel der jungen Amerikaner für Obama (genauer: 68 Prozent gegenüber 30 Prozent für dessen Gegenkandidaten John McCain). Was also dürfte in einem jungen amerikanischen Wähler wohl vorgegangen sein, der, nachdem er für einen fundamentalen politischen und wirtschaftlichen Wandel gestimmt hat, feststellen muss, einen gemäßigten Konservativen gewählt zu haben?
Gemessen an den politischen Standards des Mainstreamdiskurses mag sich mein Urteil extrem ausnehmen, aber
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