Inside Occupy
ich benutze das Wort »konservativ« hier in seinem eigentlichen Sinn, in dem es heute eher selten zum Einsatz kommt. Heute gilt als »Konservativer«, wenigstens in den USA, in der Hauptsache ein Vertreter des »radikalen rechten Flügels« – im Unterschied zur eigentlichen herkömmlichen Bedeutung eines »Konservativen« als einer Person, deren wesentliche politische Maßgabe die Erhaltung bestehender Einrichtungen ist, das Bewahren des Status quo. Und als Konservativer in diesem Sinne hat Obama sich entpuppt. So gut wie alle seine politischen Bemühungen zielen auf die Bewahrung einer bedrohten institutionellen Struktur: das Bankensystem, die Autoindustrie, auch die Krankenversicherungsbranche. Obamas wesentliches Argument bei seinem Ruf nach einer Gesundheitsreform war immer, dass das bestehende, auf profitorientierten privaten Versicherern aufgebaute System auf Dauer wirtschaftlich nicht lebensfähig und deshalb irgendeine Art von Veränderung nötig sei. Worauf er schließlich verfiel, das war die Wieder belebung eines republikanischen Modells, das erstmals in den Neunzigern als Alternative zu Clintons umfassendem Plan für eine Reform des Gesundheitswesens aufs Tapet gebracht worden war. Im Detail ausgeklügelt worden war es in rechtslastigen Denkfabriken, als erster umgesetzt hatte es Mitt Romney, damals republikanischer Gouverneur in Massachusetts. Obama war damit auf den einzigen Plan gestoßen, der das bestehende profitorientierte System in einer Form hatte bewahren können,die ihm eine Chance gab, wenigstens noch für eine weitere Generation zu bestehen.
Angesichts der Krise, in der sich die US-Wirtschaft zum Zeitpunkt von Obamas Amtsübernahme im Januar 2009 befand, bedurfte es schon einer wahrhaft heroischen Anstrengung, das System nicht wenigstens irgendwie aufzumischen, sondern alles mehr oder weniger wieder in den Zustand zu bringen, in dem es vorher gewesen war. Aber Obama brachte diesen heroischen Kraftakt auf, und als Resultat davon blieb der Status quo tatsächlich in jeder Hinsicht intakt. Es kam weder zur Verstaatlichung von Banken noch zur Zerschlagung solcher Institute, die »zu groß zum Scheitern« waren. Es kam weder zu größeren Änderungen in der Finanzgesetzgebung noch zu strukturellen Veränderungen in der Automobil-, ja überhaupt in der Industrie. Es gab keine Veränderungen im Arbeitsrecht, bei den Drogen- und Überwachungsgesetzen, bei der Finanz- und Bildungspolitik, im Transportwesen, in der Energie- und Militärpolitik. Und vor allem, entgegen den Wahlversprechen, änderte Obama auch nichts an der Rolle des Geldes in der Politik. Das wäre wirklich entscheidend gewesen.
Den besten Eindruck davon, was Amerikas »Progressive« – die Linken, Halblinken oder Linksliberalen, die in der Zusammenarbeit mit den Demokraten den besten Weg zu einem politischen Wandel in Amerika sehen – gegenwärtig denken, vermittelt einem die Lektüre der Diskussionen auf dem liberalen Blog
Daily Kos
. Der Hass, den man dort Obama in den letzten beiden Jahren entgegengebracht hat, ist schlicht phänomenal. Es ist dort an der Tagesordnung, ihn einen Betrüger zu nennen, einen Lügner, einen heimlichen Republikaner, der – im Namen eines »parteiübergreifenden Kompromisses« – absichtlich jede Gelegenheit zur progressiven Veränderung verpatzt hat, die sich ihm bot.
Der Hass mag zunächst überraschen, wird aber verständlich, wenn man bedenkt, mit welch leidenschaftlicher Hingabe diese Menschen in Amerika progressive Politik über freie Wahlen gemacht sehen wollen. Und wenn der Obama, der sich 2008 zur Wahl stellte, kein Betrüger wäre, der insgeheim seine Basis verriete, sondern ein echter Demokrat links von der Mitte, dann bliebe einem kaum etwas anderes als der Schluss auf die Vergeblichkeit eines solchen Projekts. Immerhin hätten die politischen Sterne doch wohl nicht besser stehen können als 2008. Das Jahr erlebte eine Welle von Wahlen, die den Demokraten die Kontrolle über beide Häuser des Kongresses bescherten. Es kam ein demokratischer Präsident auf einer Plattform der »Veränderung« an die Macht – und das mitten in einer Wirtschaftskrise, die schlimm genug war, um radikale Maßnahmen welcher Art auch immer unumgänglich zu machen, ganz zu schweigen davon, dass der Volkszorn gegen die finanzielle Elite ein Maßerreicht hatte, das den größten Teil der Amerikaner fast jede Politik gegen sie hätte unterstützen lassen. Aber die radikalen Veränderungen blieben aus; Wall
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