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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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Gegenteil wollte: Eine überwältigende Mehrheit wollte wissen, wer die Wahl denn nun wirklich gewonnen hatte, egal wie lange es dauern würde, das herauszufinden. Was jedoch praktisch keinerlei Wirkung auf die Meinungsmacher hatte. Sie erklärtennun einfach, dass ihre Kommentare von gestern ein bisschen voreilig gewesen sein mochten, jedoch definitiv bald zutreffen würden
    Es sind dies natürlich dieselben Lieferanten konventioneller Weisheit, denen nach dem Hin und Her der Wahlen von 2008 und 2010 folgendes Kunststück gelang: Da hatten wir, inmitten einer schweren Wirtschaftskrise, zuerst den Kollaps einer desillusionierten republikanischen Basis und eine Welle junger Wähler gesehen, die radikale Veränderungen von der Linken erwarteten, und dann, nachdem derartige Veränderungen ausgeblieben waren und die Krise weiterging, einen Einbruch bei den Stimmen von Jungen und Linken sowie das Auftauchen einer Bewegung zorniger Mittelschichtwähler, die gar noch radikalere Änderungen auf der rechten Seite forderten – und unsere Experten schafften es tatsächlich, dies als Beleg dafür zu interpretieren, die Amerikaner schwankten um die politische Mitte. Überhaupt wird es immer offensichtlicher, dass die Rolle der Medien nicht länger darin besteht, den Amerikanern zu sagen, was sie denken sollen, sondern darin, denjenigen von ihnen, die zunehmend zornig und verbittert sind, weiszumachen, dass ihre Nachbarn zu ganz anderen und milderen Schlussfolgerungen gekommen sind als sie selbst.
    Die Logik dahinter ist so ziemlich dieselbe wie die, mit der die Wähler davon abgehalten werden sollen, irgend etwas anderes zu wählen als republikanisch oder demokratisch. Selbst wenn ein dritter Herausforderer Positionen vertritt, die von der Mehrheit der Amerikaner geteilt werden, warnt man sie pausenlos davor, ihre Stimme an diesen Kandidaten zu »verschwenden«, weil ihn ohnehin niemand wählen wird. Ein augenfälligerer Fall von sich selbst erfüllender Prophezeiung lässt sich kaum vorstellen. Resultat ist eine Mainstreamideologie – ein konservativer und stets auf Mäßigung und die Erhaltung des Status quo bedachter Zentrismus –, die eigentlich niemand vertritt (außer den Meinungsmachern selbst, versteht sich), aber von der jeder nichtsdestoweniger annimmt, alle andere dächten so.
    Wie konnte es zu einer derartigen Kluft zwischen der tatsächlichen Weltsicht vieler Amerikaner und den Meinungen kommen, die in den öffentlichen Foren Ausdruck finden? Warum scheinen die Geschichten der Menschen auf der 99-Prozent-Website es nie ins Fernsehen zu schaffen, noch nicht einmal ins angebliche »Reality«-TV? Wie konnte es in einem Land, das eine Demokratie zu sein behauptet, zu einer Situation kommen, in der – wie die Besetzer betonten – die politischen Klassen nicht willens zu sein scheinen, auch nur über die Art von Problemen und Positionen zu reden, die den einfachen Bürger auf der Straße tatsächlich bewegen?

    Zur Beantwortung dieser Fragen bedarf es einer breiteren historischen Perspektive.
    Beginnen wir mit der Finanzialisierung, die ich weiter oben schon angesprochen habe. Konventioneller Weisheit zufolge haben wir uns von einer industriellen hin zu einer Finanzdienstleistungsökonomie bewegt. Dass es sich bei den meisten davon kaum um »Dienstleistungen« handelt, habe ich bereits gesagt. Paul Volcker hätte es prägnanter nicht ausdrücken können mit seiner Bemerkung, die einzige »finanzielle Innovation«, von der die Öffentlichkeit in den letzten 25 Jahren tatsächlich profitiert hat, sei der Geldautomat. Wir sprechen hier von kaum mehr als einem ausgefeilten Extraktionssystem, das sich letztlich, wie ebenfalls bereits betont, auf die Macht von Gerichten, Gefängnissen und Polizei stützt.
    Aber wie funktioniert das auf internationaler Ebene? Hier entwickelten sich die USA, abermals der konventionellen Weisheit zufolge, von einer noch in den 50er, 60er und 70er Jahren florierenden industriellen Exportwirtschaft, die Konsumgüter wie Autos, Bluejeans und Fernseher in alle Welt lieferte, zu einem Nettoimporteur von Konsumgütern und Nettoexporteur von Finanzdienstleistungen. Aber wenn diese »Dienstleistungen« nicht wirklich »Dienstleistungen« sind, sondern – wenigstens zu Hause – eher damit zu tun haben, dass der Staat Unternehmen die Macht zur Geldschöpfung verleiht und die daraus resultierenden Kreditarrangements mit der Macht seiner Gerichte und Polizei zu stützen bereit ist, warum um alles in der

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