Inside Occupy
System verweigern, aber das hat den Hintergrund, dass dieses System alles andere als demokratisch ist, sondern vielmehr, wie im letzten Kapitel dargestellt, ein System offener, institutionalisierter und durch reale oder angedrohte Gewalt gestützte Bestechung. Diesen Umstand wollten wir den Leuten aufzeigen, in den USA wie anderswo. Und das haben wir getan – auf eine Weise, wie das kein politisches Statement je hätte schaffen können.
Die Behauptung, wir hätten keinen Plan, ist also absurd; die Behauptung, uns bliebe letztlich nichts anderes übrig, als Gewalt anzuwenden, ist angesichts der ganz bewussten Gewaltfreiheit der Besetzer genau die Art von Aussage, in die man sich flüchtet, wenn man verzweifelt auf eine Rechtfertigung für die eigene Gewalt zu kommen versucht – in diesem Fall der Einsatz von Schlagstöcken und chemischen Waffen gegen Gruppen gewaltfreier junger Idealisten. »Sicher, sie haben keiner Fliege was getan oder auch nur Anstalten dazu gemacht, aber glauben Sie mir, sie können ihre Ziele ohne Gewalt nicht erreichen, also besorgen wir es ihnen, bevor sie uns etwas tun.«
Nachdem Continetti die Ursprünge der gegenwärtigen globalen antikapitalistischen Netzwerke – korrekt – auf die Revolte der Zapatistas von 1994 zurückverfolgt und – nicht weniger korrekt – ihre zunehmend antiautoritäre Politik, ihre Ablehnung auch nur des Gedankens, durch Gewaltan die Macht zu kommen, sowie ihren Einsatz des Internets registriert hat, kommt er zu folgendem Schluss:
»Seit über zwei Jahrzehnten entwickelt sich eine intellektuelle, finanzielle, technologische und soziale Infrastruktur zur Unterminierung des globalen Kapitalismus, und wir befinden uns inmitten ihrer jüngsten Manifestation. … Die Zeltstädte der Besetzer sind autonom, wie Kommunen organisiert, egalitär und vernetzt. Sie lehnen die Alltagspolitik ab. Sie fördern eine unkonventionelle Lebensweise und die Konfrontation mit den staatlichen Autoritäten. Sie sind die Phalanx und New Harmony, auf den Stand postmoderner Zeiten gebracht und mitten in unsere Städte geworfen.
Die Aktivisten in den Camps mögen nicht allzu zahlreich sein. Sie mögen albern, ja grotesk anmuten. Sie mögen ›Agenden‹ und ›Politik‹ ablehnen. Sie mögen sich nicht darauf einigen können, was sie eigentlich wollen oder wann sie es wollen. Und sie mögen verschwinden, wenn der Winter kommt und die Liberalen, deren Parks sie besetzt halten, die Geduld mit ihnen verlieren. Aber die Utopisten und Anarchisten werden wieder auftauchen. … Die Besetzung wird anhalten, solange es Individuen gibt, nach deren Überzeugung ungleich verteilter Besitz ungerecht ist und auf der Welt die Gemeinschaft der Menschheit verwirklicht werden kann.«
Sie sehen, warum Anarchisten so etwas erfrischend ehrlich finden mögen. Der Verfasser macht kein Hehl aus seinem Wunsch, uns alle im Gefängnis zu sehen, aber wenigstens ist er zu einer ehrlichen Einschätzung dessen bereit, worum es geht.
Trotzdem durchzieht den Artikel im
Weekly Standard
ein zum Schreien unaufrichtiges Motiv, nämlich die Prämisse, dass der Verfasser für Demokratie sei und die Besetzer dagegen seien, weil sie die gegenwärtige politische Ordnung ablehnten. In Wirklichkeit ist die konservative Tradition, die Publikationen wie den
Weekly Standard
hervorgebracht hat, zutiefst antidemokratisch. Ihre Helden sind fast durch die Bank Männer, die aus Prinzip antidemokratisch waren und deren Leser nach wie vor eine Vorliebe für Aussagen haben wie »Amerika ist keine Demokratie, sondern eine Republik.« Hinzu kommt, dass die Argumente, die Continetti da auffährt – dass von Anarchisten inspirierte Bewegungen instabil seien, konfus, eine Bedrohung für die etablierte Eigentumsordnung und notwendigerweise zu Gewalt führen müssten –, im Kern von dieser Sorte Männern seit Jahrhunderten gegen die Demokratie selbst ins Feld geführt worden sind.
Occupy Wall Street ist in der Tat vom Anarchismus inspiriert, aber die Bewegung steht auch für eben die Tradition volksnaher amerikanischer Demokratie, gegen die Konservative vom Schlage Continettis schon immer gewesen sind. Anarchismus bedeutet keineswegs die Verneinung vonDemokratie – oder wenigstens nicht der demokratischen Aspekte, an der der größte Teil der Amerikaner historisch Gefallen gefunden hat. Anarchismus bedeutet, demokratische Prinzipien zu ihrem logischen Schluss zu führen.
Dass das nicht so einfach zu erkennen ist, liegt an der unendlich
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